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Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition)

Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition)

Titel: Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Meyerhoff
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Die Trauernden waren alle sehr gefasst. Nicht wie vor Jahren, wie bei der Beerdigung meines Bruders, wo fast alle weinten, laut aufstöhnten, sich gegenseitig stützten.
    Das Requiem hielt ich nicht durch. Der Pfarrer sprach von meinem Vater als einem Mann der Tat. Ich verließ die Kirche und fuhr mit dem Auto nach Hause.
    Ich steckte den Schlüssel ins Schloss der Haustür, doch von innen war die Kette vorgelegt. Ich hörte etwas. Ich kletterte über die Mauer in den Garten, lief ums Haus herum, zur Hintertür. Die Scheibe war eingeschlagen, die Tür stand offen. Ich sah mich um, fand aber niemanden. Ich ging ins Haus, durch den Flur ins Wohnzimmer. Alles war verwüstet, Schubladen herausgerissen und ausgeleert.
    Ich rannte in die Küche, es stank, jemand hatte auf den Tisch gekackt. Die von der Psychiatrieküche gebrachten kalten Platten und Schalen mit verschiedenen Fischgerichten waren gegen die Wände geworfen worden. Überall lagen Lachs und Schinkenscheiben.
    Ich nahm mir ein großes Messer und ging die Treppe hoch. Ich war außer mir. Ich brüllte rum. Ging von Zimmer zu Zimmer. Alle Schränke durchwühlt. Ich fand niemanden.
    Ich lief zurück in die Küche und stand fassungslos vor dem Kackhaufen. Gleich würden alle aus der Kirche kommen. Ich nahm eine Tüte und schaufelte die Scheiße mit einem Löffel hinein. Ich wollte auf keinen Fall, dass meine Mutter das sah. Mit irgendeinem Reiniger schrubbte ich den Tisch. Auf den Küchenfliesen kniend, schob ich mit beiden Händen eingelegte Heringe und Aalhappen zusammen. Der Geruch der Einbrecherscheiße, der Fischgeruch, der chemische Reiniger drehten mir den Magen um. Ich ging ins Bad und kotzte. Dann wischte ich weiter.
    Die Plastiktüte versteckte ich draußen in der Mülltonne unter anderem Müll. Mir war flau. Meine Hände stanken. Ich schrubbte sie sauber. Mit der Nagelbürste meines Vaters. Ich übergab mich noch mal ins Klo, spülte mir den Mund aus und ging aufräumen.
    Bis die ersten Trauernden zurückkamen, hatte ich immerhin alle Schubladen wieder drin. Erst dann rief ich die Polizei an. Viel zu spät natürlich. Bestimmt zwanzig Freunde und Verwandte hatten sich nach der Beerdigung und vor dem Requiem bei uns getroffen. Die meisten hatten ihre Handtaschen dagelassen. Allen fehlte etwas. Nur meine Großmutter hatte ihre Handtasche hinterm Sessel versteckt. Trotz meines Aufräumens war meine Mutter furchtbar angegriffen, und auch mir schwanden langsam die Kräfte. Der Polizist sprach von einer Bande, die oft während Trauerfeiern zuschlagen würde. Wir hätten aber noch Glück gehabt, da sie fast immer einen, wie es im Ganovenjargon hieß, »Wächter« auf dem Tisch zurückließen.
    Kurz nach dem Tod meines Vaters, ich war wieder in Kassel, um Theater zu spielen, rief mich mein Bruder an und bat mich, mit ihm zusammen am nächsten Freitag etwas zu erledigen. Was, wollte er nicht sagen. Aber es wäre wichtig und er wäre froh, es nicht alleine machen zu müssen. Wir fuhren mit dem Auto meines Vaters und kamen an der Stelle vorbei, an der unser Bruder verunglückt war.
    Dann erklärte mir mein Bruder den Grund unseres Ausflugs. Bei der Durchsicht der Konten meines Vaters war er auf einen Dauerauftrag gestoßen. Er hatte sich bei der Bank erkundigt und herausgefunden, dass dieser Dauerauftrag seit über fünf Jahren bestand. Jeden Monat tausendzweihundert Mark. Das Geld wurde an eine Immobilien GmbH in Kiel überwiesen. Wir hatten den Totenschein unseres Vaters dabei, um bei ebendieser Firma etwas über die Miete, denn eine Miete war es wohl, zu erfahren. Mein Bruder erzählte mir weiter, dass er einen Schlüsselbund gefunden hätte. Und zwar in der Kiste, die mein Vater damals mitgebracht hatte, nachdem er sein Büro räumen musste und sicher war, nie wieder arbeiten zu können.
    Von Schleswig nach Kiel sind es circa sechzig Kilometer. Der norddeutsche Winter ist trist. Bis Mittag wird es kaum richtig hell und ab vier schon wieder stockdunkel. Während der Fahrt erzählte mir mein Bruder, dass er die letzte Freundin meines Vaters in Lübeck angerufen und gefragt hatte, ob sie etwas von der Wohnung wisse. Sie wusste nichts, war aber glücklich, mit jemandem aus der Familie sprechen zu können. Sie hatte von dem Tod meines Vaters aus der Zeitung erfahren, und zur Beerdigung hatte sie sich nicht getraut. Sie fragte, ob sie das Grab meines Vaters besuchen dürfe. Mein Bruder war verwundert über ihre Unsicherheit und hatte nichts dagegen. Seitdem liegen

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