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Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition)

Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition)

Titel: Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Meyerhoff
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dann plötzlich war der Schmerz weg.«
    Ich begriff nicht, was meine Mutter meinte: »Wie, der Schmerz war weg?« »Ja, weg. Von hier abwärts«, sie legte zwei Finger auf mein Brustbein, »ist er gelähmt.«
    Als mein Vater Stunden später aufwachte, schwer gezeichnet von seinem Kampf um Leben und Tod, war er von einer uns alle berührenden Heiterkeit. Das erste Mal seit fast zwei Jahren war er ohne Schmerzen.
    Es begann eine seltsame Zeit. Ich spielte in Kassel meine ersten kleinen Rollen, und meine Mutter kümmerte sich aufopferungsvoll um meinen gelähmten Vater. Wenn ich sie besuchte, besuchte ich zwei Liebende. Nie hätte ich es für möglich gehalten, meine Eltern so zu sehen. Zwei Liebende, ausgelassen, erschöpft, aber getragen von der Aufmerksamkeit des anderen.
    Nach drei, vier Monaten bekam mein Vater immer größere Probleme mit der Atmung, und zu dem sich in den Schultern neu formierenden Schmerz gesellte sich die Angst zu ersticken. Er spritzte immer noch Unmengen Morphium. Tat er das nicht, bekam er Entzugserscheinungen. Das Morphium wiederum drohte, seine Atmung zu lähmen.
    Mein Vater wäre so gerne zu Hause gestorben. Doch nach einem weiteren lebensbedrohlichen Erstickungsanfall kam er ins Krankenhaus.
    Meine Mutter zog zu ihm. Mehrmals haben sich der Todeswunsch meines Vaters und die Todesbereitschaft seines Körpers knapp verpasst. Mehrmals wäre er gerne gestorben, aber sein Körper ließ ihn nicht. Und als sein Körper ihn gelassen hätte, kämpfte plötzlich mein Vater.
    Fern aller Theorie, ganz mit der alltäglichen, praktischen Schwerstarbeit des Sterbens beschäftigt, überstanden meine Eltern gemeinsam die letzten Wochen.
    Schon auf dem Gang des Krankenhauses begegnete mir eine weinende Krankenschwester und umarmte mich. Meine Mutter saß an seinem Bett. Eine Kerze brannte, und seine Hände waren gefaltet, was mich sofort störte. Er sah tatsächlich sehr erleichtert aus. Zerschundene, entspannte Gesichtszüge. Der Schmerz und die Angst hatten endgültig von ihm abgelassen. Später habe ich mich oft gefragt, wo dieser konsistente Schmerz so plötzlich hin verschwunden war. Dieser mit Morphium gemästete Schmerz, der alles Leben aus meinem Vater gesogen hatte, der ihn abgenagt hatte wie einen saftigen Knochen. Dieser kraftvolle, ja durch und durch gesunde Schmerz konnte doch nicht weg sein. Hatte er sich mit dem Tod meines Vaters in Luft aufgelöst, oder war er weitergezogen? Hockte er vielleicht irgendwo, zehrte von der angefressenen Vaterkraft und wartete, sobald er wieder Hunger bekam, auf mich? Meine Mutter sagte: »Wie gut, dass du da bist. In einer Viertelstunde kommen sie und bringen ihn fort.« Ich war erschrocken, ging sofort zum Chefarzt und bat um Aufschub. »Er bleibt dort, so lange Sie wollen.«
    Meine Mutter wollte endlich nach Hause in ihr eigenes Bett. Es war spät. Ich blieb da. Allein mit ihm. Ich zog mich aus und legte mich zu ihm ins Bett. Das hatte ich immer getan. Selbst noch mit zwanzig bin ich unter seine Bettdecke gekrochen, und wir haben uns etwas erzählt. Er war noch warm. Ich berührte ihn, küsste ihn. Hob seine geschlossenen Lider und sah ihm in die stumpfen Augen. Strich ihm über seine Arme, seinen haarigen Bauch.
    Die Matratze, auf der er lag, war eine Dekubitusmatratze. Sie lagerte den Patienten permanent um, damit er sich nicht wund lag. Luft strömte stetig in Kammern und entwich wieder.
    Ich lag eng bei meinem toten Vater, und unter uns arbeitete diese Matratze. Ich wurde ganz benommen. Er war immer noch warm. Wir schwammen so dahin, aneinandergeschmiegt. Ich schlief ein. Als ich aufwachte, war er immer noch warm. Sein Rücken.
    Da merkte ich, dass es nicht seine Wärme war, sondern die der elektrischen Matratze. Ich stand auf und schaltete sie aus. Plötzlich war es still im Raum. Ich hatte das beruhigende Summen vorher gar nicht wahrgenommen. Er wurde schnell kalt und plötzlich auch fremd. Erst jetzt hatte der Tod auch etwas Unerbittliches, Abweisendes. Draußen wurde es hell.
    Mein Bruder kam aus Berlin, und ich ließ ihn mit meinem Vater allein. Ich machte einen Spaziergang, fühlte mich befreit und glücklich. So unfassbar glücklich. Endlich ging die geschlossene Faust, in der ich so viele Jahre gelebt hatte, wieder auf. Als meine Mutter kam, war sie überrascht, ja fast entsetzt, dass er immer noch in seinem Bett lag. Nun war es genug, und wir gingen.
    Nach fünf randvollen Todesorganisationstagen war die Beerdigung mit anschließendem Requiem.

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