Warte auf das letzte Jahr
keinen Ausweg. Ke i nen, der in die Tiefen des Alls führt, und keinen, der Z u kunft, Vergangenheit oder Parallelwelten als Zufluchtsort ausweist. Sich selbst, der Prägung durch die Umwelt, der Verankerung in ihr und in zwischenmenschlichen Beziehu n gen, in Liebe, Gleichgültigkeit und Haß, in Macht- und Ohnmachtstrukturen – dem allen entkommt man nicht, sein privates Universum schleppt man mit sich herum. Und selbst wenn man dies alles ändern könnte, wäre es keine Lösung, weil man dann auch seine Identität verloren hätte. Aus dem gleichen Grunde scheidet der Freitod als Ausweg aus. Im Gegenteil, er ist die schlechteste aller Lösungen, eine letzte Niederlage, ein Verzicht auf jenes bißchen Hoffnung, das trotz allem auch in Philip K. Dicks Romanen übrigbleibt. Im Gegenteil: Der Maulwurf zum Beispiel, jener Diktator der Erde in diesem Roman, schafft von überallher aus den Para l lelwelten seine Doppelgänger herbei, um seine Identität zu bewahren – obwohl es eine Identität des Leidens, der Schmerzen und der unzähligen Tode ist. So zerrissen Dicks Charaktere sind, so chaotisch und psychotisch ist die U m welt dieser Charaktere, die sie schließlich zu dem gemacht hat, was sie sind. Dick sieht keine Möglichkeit, dieses A u ßenchaos zu ordnen, und da er keine Fluchtwege akzeptiert, sieht er auch keine Möglichkeit, dem Innenchaos beiz u kommen. Aber, und das erscheint mir wichtig, Dick unte r scheidet zwischen dem, was einzelne Menschen anderen einzelnen Menschen antun, und dem, was einzelne Me n schen vielen anderen Menschen antun. Um ersteres zu ä n dern, bedarf es großer und langwieriger Veränderungen der Außenwelt, um letzteres zumindest zu mildern, sind Me n schen auch kurzfristig und innerhalb ihres begrenzten Han d lungsspektrums in der Lage. Deshalb engagiert sich Dr. Sweetscent beispielsweise dafür, die Erde aus dem unseligen Pakt mit dem Lilistern herauszuführen, den Krieg zu bee n den, einen schlimmeren Diktator als den Maulwurf zu ve r hindern. So wirkt letztlich nach der Lektüre eines Dick-Romans Betroffenheit nach, eine gewisse tiefe Traurigkeit, vielleicht auch ein deprimierendes Gefühl – aber eigentlich keine Resignation.
Hans Joachim Alpers
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