Warum aendert sich alles
morgen.
Mein
»Es ist aber merkwürdig«, schreibt Kant, »daà das Kind, was schon ziemlich fertig sprechen kann, doch ziemlich spät (vielleicht wohl ein Jahr nachher) allererst anfängt, durch Ich zu reden, so lange aber von sich in der dritten Person sprach (Karl will essen, gehen u.s.w.), und daà ihm gleichsam ein Licht aufgegangen zu sein scheint, wenn es den Anfang macht durch Ich zu sprechen: von welchem Tage an es niemals mehr in jene Sprechart zurückkehrt. â Vorher fühlte es bloà sich selbst, jetzt denkt es sich selbst.« Zwischen den beiden Phasen gibt es eine Epoche, die zwischen dem Fühlen und Denken vermittelt: Das Kind sagt viel früher »mein« als »ich«, wenigstens in den Sprachen, die über diese beiden Begriffe oder Wörter verfügen. »Das ist mein!« gegen alle Prätendenten dieser Welt. »Ich« wäre also der Endpunkt in dem Dreischritt eines animalischen Selbstgefühls, einer Besitzanzeige und eines ultimativen »Ich, ich selbst«.
»Guck mal«, »guarda«, »mira« usw. usf.
Im Sommerbad, auf der StraÃe, im Kindergarten und in jedem Kinderzimmer: Ohne den Blick und Zuruf der anderen wächst kein Kind in sich selbst und die Gesellschaft hinein, sondern wird verdunkelt ins Abseits gestellt. Sieh dir das nur an! Toll! Aus dem »Guck mal« werden später die Malerei, die Plastik, die Mode und die Architektur, der FuÃball, die Olympischen Spiele, das ganze Konzert der Geistes- und Körperkultur, Einsteins Physik und Bentleys Platonausgabe, die Einfälle zur Verkürzung des FlieÃbands und die spektakulären Ãberfälle auf andere Länder: »Vater, guck mal! Was ich , ich gemacht habe! Die Mission ist beendet! Guck doch bitte, bitte!« ruft noch der fünfzigjährige Kindskopf. Im »Guck mal« des Kinderzimmers beginnen Glück und Unglück der Lebensbahn: Da guckt wirklich jemand und muntert auf: »Super!« Oder es ist niemand da, ein Aus für die Psyche und den Körper. Und dann kurz darauf der Vergleich, mit dem nach Rousseau die Menschheit beginnt: »Guck mal«, und alle sehen hin, oder: woandershin, durch mich durch.
Kinderseelen
Kinder tollen mit der Wahrheit und Falschheit nach Lust und Laune und begreifen nicht, warum einige Erwachsene gerade auf die feinsten und schwierigsten Lügen so übel reagieren. Viele oder sehr viele oder alle Menschen erhalten ihr kindliches Gemüt und jonglieren kunstvoll zwischen Lug und Betrug und dem Bonus der Ehrlichkeit hierhin und dorthin, Opfer und Täter in den eigenen mentalen Kulissen und Spiegeln. Das falsche Lächeln war ehrlich gemeint, der Zuspruch hinein in den Abgrund war klarer Betrug, aber in der kindlichen Optik des Falschen nichts anderes als ein Scherz. Wir gewöhnen uns daran, daà der Mond kleiner sein soll als die Sonne, obwohl ihre Scheiben haargenau gleichgroà sind; wir lernen seit der Antike, daà unsere Erde sich künstlich um sich selbst dreht, und nach einiger Ãbung begreifen wir, daà wir in zwei ineinander verstrickten Welten leben: der momenthaften mit ihren überzeugenden Einbildungen und der Ordnungswelt von Wissenschaft und Recht und Moral.
Leuchtendes Licht und Donnergepolter
Für Oskar Negt
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Homer, Odyssee XI 593â600 (Odysseus ist in der Unterwelt)
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Auch den Sisyphos sah ich, von schrecklicher Mühe gefoltert,
Einen schweren Marmor mit groÃer Gewalt fortheben.
Angestemmt, arbeitetâ er stark mit Händen und FüÃen,
Ihn von der Au aufwälzend zum Berge. Doch glaubtâ er ihn jetzo
Auf den Gipfel zu drehn, da mit einmal stürzte die Last um;
Hurtig mit Donnergepolter entrollte der tückische Marmor.
Und von vorn arbeitetâ er, angestemmt, daà der AngstschweiÃ
Seinen Gliedern entfloà und Staub sein Antlitz umwölkte.
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Warum lesen nicht alle Schüler diese Verse? Wer hätte keinen Spaà an diesem »Hurtig mit Donnergepolter«? Oder Nausikaa, die zum Waschen an den Strand fährt und Odysseus trifft, oder Polyphem oder ... Wie verbiestert müssen europäische Schulen sein, daà sie den Jugendlichen diese Verse vorenthalten? Oder später Pindar:
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Eintagswesen! Was ist einer denn, was ist einer nicht?
Eines Schatten Traum ist der Mensch. Doch kommt ein gottgegebener Glanz,
Liegt auf ihm leuchtendes Licht und gibt ihm ein frohes Dasein.
Ironie
Sokrates, der
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