Warum Burnout nicht vom Job kommt. - die wahren Ursachen der Volkskrankheit Nr. 1
der sie nur zu Hause gewesen waren.
Was sie erzählten, kam mir bekannt vor. Phasenweise aus eigener Erfahrung, vor allem aber aus meiner Arbeit mit stressgeplagten Müttern. Beim Beispiel mit der Waschmaschine hatte ich geradezu ein Déjà-vu: Genau über diesen Horror vor alltäglichen Handgriffen hatte eine ganze Reihe von Frauen geklagt. Allen gemeinsam war, dass sie stark erschöpft waren, auch wenn sie nur mit dem Kind oder den Kindern allein zu Hause waren. Immer für alles bereit sein, einkaufen, kochen, den Hausmeister anrufen, für Mutter einen neuen Staubsauger bei eBay ersteigern, Wäsche waschen, Geburtstagsgeschenk für die Nachbarin besorgen, Staub wischen, aufräumen – das waren nur einige der Tätigkeiten, die dazu führten, dass diesen Frauen schon bei der „Tagesschau“ die Augen zufielen. Sie waren immer gefordert, hatten wenig Pausen und waren für alles verantwortlich. Und im Gegenzug gab es weder ein Gehalt noch eine andere Form der Anerkennung: Es schien selbstverständlich zu sein, den Alltag zu bewältigen und diese undankbare Arbeit zu verrichten.
Von diesen Klientinnen erfuhr ich, dass das Hausfrauen-Dasein sogar noch frustrierender als der Job sein kann. Denn im Gegensatz zum Job werden zu Hause nur selten lang anhaltende Ergebnisse erzielt. Kaum ist die Küche geputzt, hat das Kind wieder die Milchflasche umgestoßen. Sind die Hausaufgaben endlich gemacht und die Schulranzen gerichtet, startet der Kampf ums Zubettgehen. Wie kann man Halbwüchsigen erklären, dass ein großer Online-Freundeskreis nur die halbe Miete ist? Und warum sie, bitteschön, um zehn Uhr zu Hause sein müssen, ja, auch am Wochenende! Die Erziehung der Kinder ist die viel größere Herausforderung. Denn hier kommen die Mütter mit ihrer Tatkraft und Zielorientierung nicht so voran, wie sie es im Beruf gewohnt sind. Ihrem Baby zum zwanzigsten Mal den dreckigen Schlüsselbund aus dem Mund nehmen – das treibt perfektionistische, leistungsorientierte Frauen in den Wahnsinn.
Die Ähnlichkeiten zwischen den Symptomen der Seminarteilnehmerinnen und jenen meiner ehemaligen Klientinnen sind unverkennbar. Und ich denke, wenn meine Seminarteilnehmerinnen Burnout-gefährdet sind, dann müssen es auch all die Hausfrauen gewesen sein, die in meine Praxis kamen. Schließlich hatten sie genau die gleichen Symptome. Auch wenn bei ihnen „nur“ eine Erschöpfungsdepression diagnostiziert wurde. Sicherlich ist der Druck am Arbeitsplatz groß, das will ich gar nicht abstreiten. Aber warum gehen wir eigentlich davon aus, dass nur Menschen, die mitten im Arbeitsleben stehen, ausbrennen können?
Vorurteil Nr. 3: Stress, Zeitnot und ständige Erreichbarkeit sind schuld am Burnout
In allen Definitionen der Krankheit heißt es, die Ursache für Burnout liege in der Verdichtung der Arbeitswelt. So steht es geschrieben, so wird es gelehrt, und nach diesem Prinzip werden unsere Patienten behandelt. Die Menschen brennen also aus, weil sie immer mehr Arbeit in immer kürzerer Zeit leisten müssen, weil Fehler und menschliche Schwächen Tabus geworden sind. Weil die hohen Anforderungen an die Effizienz und die Ergebnisse der Mitarbeiter mit zunehmendem Controlling in allen Bereichen einhergeht. Der Anteil an Verwaltungsarbeit nimmt zu, immer mehr Vorgänge müssen verschriftet werden. Dazu kommt der Sicherheitswahn, Mails in Kopie an viele andere Personen zu schicken, was die Informationsflut weiter erhöht, rasche Antworten fordert und Tagespläne obsolet werden lässt. Denn wenn nur noch reagiert wird, geht das Gefühl verloren, selbst über die eigene Zeit zu bestimmen.
Viele können sich kaum noch konzentrieren, weil ständig Teamkollegen hereinschneien oder das Telefon nicht aufhört zu klingeln. Eine tiefere Beschäftigung mit einem Thema und ein damit verbundenes Erfolgserlebnis sind so kaum noch möglich.
Burnout-Patienten klagen über all diese Phänomene, und die sind real. Aber ich sehe eine weitere Unstimmigkeit im vorliegenden Puzzle: Wenn die Chefs auf die Tube drücken, der Kommunikationsdruck die Mitarbeiter überfordert und die gesamte Arbeitswelt K opf steht: Warum brennen nicht alle aus? Die Verdichtung der Arbeitswelt ist sicherlich ein Phänomen, das um sich greift. Aber die Handballerin Inga erleidet ein Burnout, andere Spitzensportlerinnen jedoch nicht. Wenn berufstätige Mütter überlastet sind, wieso lässt der Arbeitsdruck die Ministerin und die PR-Frau des Großverlages unberührt?
Ist Stress im Job
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