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Warum es die Welt nicht gibt

Warum es die Welt nicht gibt

Titel: Warum es die Welt nicht gibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Gabriel
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allerdings sehr merkwürdig. Wie erklärt man beispielsweise, dass Gehirnzustände zwar materiell sind, dass sie sich aber in der Form von Einbildungen auf nichtmaterielle Gegenstände beziehen können? Wie können materielle Gegenstände überhaupt von irgendetwas handeln, das nicht materiell ist? Wenn der Materialist zugibt, dass Gehirnzustände von etwas handeln, das nicht materiell ist, hat er schon längst zugegeben, dass es etwas gibt, das nicht materiell ist, nämlich all die nichtmateriellen Gegenstände, von denen Gehirnzustände handeln können. Stellen wir uns einmal vor, ein dreiköpfiger schleimiger grüner Außerirdischer schreibe gerade ein Buch mit dem Titel Warum es keine Menschen gibt . Soweit wir wissen, entspricht dieser Vorstellung nichts im Universum. Allerdings können wir das auch nicht ausschließen, so dass wir hier wie in unendlich vielen anderen Fällen nicht einmal sicher sein können, ob der Inhalt eines Gehirnzustandes auf etwas Materielles verweist oder nicht.
    Hinzu kommt ein zweites Problem. Der Materialist meint, dass es unsere Einbildungen von nichtmateriellen Gegenständen nur gibt, weil wir uns in bestimmten materiellen Zuständen befinden, die von etwas handeln. Daraus folgt, dass sich auch der Materialist in einem bestimmten materiellen Zustand befindet, wenn er den Gedanken denkt: »Es gibt nur materielle Zustände.« Wir wissen bereits, dass einige materielle Zustände (Gehirnzustände wie Einbildungen) sich auf nichtmaterielle Gegenstände beziehen, indem sie von ihnen irgendwie handeln. Woher weiß der Materialist also, dass sein Gedanke »Es gibt nur materielle Zustände« keine Einbildung ist? Wie kann er sicher sein, dass die materiellen Zustände, über die er nachdenkt, keine Einbildungen und demnach wirklich materiell sind?
    Um dies sicherzustellen, könnte der Materialist induktiv und experimentell vorgehen. Dazu müsste er alle Gegenstände und alle Gedanken untersuchen und beweisen, dass sie materiell sind. Das wäre allerdings recht aufwendig und kann schon aus Zeitgründen kaum geleistet werden. Die Menge der zu erhebenden Daten wäre viel zu groß. Die Behauptung, dass der Gedanke »Es gibt nur materielle Zustände« wahr ist, kann man nicht dadurch verifizieren, dass man sich alle Gegenstände (und damit auch alle Gedanken) ansieht und überprüft, ob sie materiell sind. Doch woher weiß der Materialist dann, dass alle Gegenstände materielle Zustände sind? Wenn er uns dies nicht mitteilen kann, haben wir keinen Grund, uns dem Materialismus anzuschließen.
    Der Materialismus ist somit keine naturwissenschaftlich beweisbare Aussage. Aber nicht nur das, er ist auch schlicht falsch. Dies lässt sich anhand von zwei besonders schwerwiegenden Problemen des Materialismus verdeutlichen. Für den Materialismus existiert alles anscheinend Nichtmaterielle sozusagen nur als Anhang des Materiellen. Diese These empfiehlt sich dadurch, dass sie in Aussicht stellt, eine vollständige Welterklärung zu liefern, die besagt: Alles Existierende ist materiell, wozu auch unsere Gedanken gehören, die materielle (neuronale) Zustände unseres Gehirns sind. Alles scheinbar Nichtmaterielle sei nur ein Hirngespinst.
    Das erste Problem des Materialismus ist das Problem der Identifikation. Der Materialismus lehrt, dass meine Vorstellung von einem Couchtisch mit Kaffeeflecken letztlich darauf zurückführbar ist, dass der Couchtisch und die Kaffeeflecken aus physikalischen Gegenständen, etwa subatomaren Partikeln, bestehen. Doch um die für den Couchtisch mit den Kaffeeflecken relevanten subatomaren Partikel aus allen subatomaren Partikeln korrekt herauszusuchen, also den relevanten Partikelhaufen zu identifizieren, wird vorausgesetzt, dass wir die Partikel des Couchtisches (und nicht etwa die Partikel der auf dem Couchtisch liegenden Fernbedienungen) suchen. Damit müssen wir aber die Existenz des Couchtischs anerkennen, da nur der Couchtisch uns zu seinen Partikeln führt. Dasselbe gilt für Einbildungen; wir müssen die Existenz von Einbildungen und damit von nichtmateriellen Vorstellungsinhalten anerkennen, damit wir die für diese verantwortliche Partikelgruppe identifizieren können. Oder allgemeiner: Der Materialismus muss die Existenz von Vorstellungen anerkennen, um sie im nächsten Schritt leugnen zu können. Dies ist ein Widerspruch.
    Das zweite ziemlich verheerende Problem des Materialismus besteht darin, dass der Materialismus selbst nicht materiell ist. Es handelt sich beim

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