Warum es die Welt nicht gibt
Materialismus um eine Theorie, nach der alles ohne Ausnahme nur aus materiellen Gegenständen (Elementarteilchen oder was auch immer) besteht. Wenn dies wahr wäre, dann wäre die Wahrheit der Theorie des Materialismus auch eine Konfiguration von Elementarteilchen, die sich beispielsweise in der Form neuronaler Zustände des Gehirns des Materialisten manifestiert. Allerdings ist ein Gedanke keineswegs dadurch wahr, dass er ein Gehirnzustand ist. Sonst wäre jeder Gedanke, den irgendjemand als Gehirnzustand hat, ja schon dadurch wahr, dass ihn jemand hat. Die Wahrheit eines Gedankens kann nicht damit identisch sein, dass sich jemand in einem bestimmten neuronalen Zustand befindet. Oder allgemeiner gesprochen: Es ist völlig unklar, wie man sich überhaupt ein materialistisches Konzept von Wahrheit oder Erkenntnis vorzustellen hat. Denn die Wahrheit selbst wird wohl kaum ein Elementarteilchen sein oder aus Elementarteilchen bestehen.
Wo stehen wir nun? Wir haben erkannt, dass die gedankliche Operation, die alles im Universum verortet, von unserem Wohnzimmer, den Kaffeeflecken, unseren Nachbarn, den Beamten hin zu den Galaxien inkonsistent ist. Man kann anscheinend nicht alles im Universum verorten. Dies ginge nur, wenn Physikalismus oder Materialismus echte Optionen wären. Bei diesen Theorien handelt es sich aber um ziemlich grobe Irrtümer. Sie verwechseln einen bestimmten Gegenstandsbereich mit dem Ganzen, so als wenn ein Naturwissenschaftler einem Zugschaffner mitteilte, dass dieser letztlich gar nicht existiert, sondern nur ein Partikelhaufen ist (was ihn im Übrigen kaum davon abhalten wird, einen Fahrschein zu kaufen).
»Die Welt ist alles, was der Fall ist«
Vom Universum muss man die W elt unterscheiden. Doch was ist das eigentlich, die Welt? Worauf bezieht sich der Ausdruck »die Welt«? Im Alltag verwenden wir ihn heutzutage unter anderem für die Erde, für unseren Planeten, auf dem wir leben. Im Englischen hat es sich auch eingebürgert, mehr oder weniger bewohnbare Planeten, auch außerhalb unseres Sonnensystems, als »Welten« zu bezeichnen. Darüber hinaus gibt es auch noch die Verwendung von »Welt« im Sinne der Welt eines Romans, der Welt der Aborigines, der Welt des Glücklichen oder der Welt der Römer. Sozusagen von Natur aus neigen wir alle erst einmal dazu, die Welt mit der Gesamtheit aller vorhandenen Gegenstände zu identifizieren. Doch damit es eine solche Gesamtheit geben kann, muss es eine Art Regel oder ein Gesetz geben, das diese Gesamtheit zusammenhält. Die Welt der Römer ist nicht einfach nur die Gesamtheit der Gegenstände, die es damals im Imperium Romanum gab, sondern auch ihr Verhältnis zueinander und eine bestimmte Art und Weise, mit diesen Gegenständen umzugehen, also die römische Kultur, ihre Sitten und Gebräuche. Ludwig Wittgenstein hat in den ersten Sätzen seines Tractatus logico-philosophicus als Erster auf diesen entscheidenden Punkt aufmerksam gemacht:
1. Die Welt ist alles, was der Fall ist.
1.1 Die Welt ist die Gesamtheit der Tatsachen, nicht der Dinge. 11
Was damit gemeint ist, kann man folgendermaßen erläutern: Nehmen wir als Beispiel ein bekanntes Ding, einen Apfel. Der Apfel befindet sich in einer Obstschale. Nehmen wir einmal an, es gäbe in der Welt überhaupt nur den Apfel, die Obstschale und den Raum, den sie einnehmen. In diesem Fall könnte man meinen, die Welt sei identisch mit der Gesamtheit der folgenden drei Dinge:
1. Der Apfel
2. Die Obstschale
3. Der Raum, den sie einnehmen.
Allerdings wäre diese Welt nicht die Welt, die sie ist, wenn der Apfel größer als die Obstschale wäre oder wenn er sich nicht in der Obstschale befände. Denn die Welt besteht ja aus einem Apfel in einer Obstschale. Neben den Dingen selbst gibt es demnach noch Tatsachen, die ihr Verhältnis zueinander betreffen.
Eine T atsache ist etwas, das über etwas wahr ist. Es ist wahr über den Apfel, dass er sich in der Obstschale befindet. Tatsachen sind für die Welt mindestens so wichtig wie Dinge oder G egenstände . Dies sieht man an einem ganz einfachen Gedankenexperiment. Nehmen wir an, es gäbe nur Dinge, aber keine Tatsachen. Dann wäre nichts über diese Dinge wahr. Denn dies wären ja Tatsachen. Folglich wäre es aber über diese Dinge wahr, dass nichts über sie wahr ist. Dies ist ein ziemlich offensichtlicher und übler Widerspruch. Es gibt in jedem denkbaren Szenario also mindestens eine Tatsache, in manchen denkbaren Szenarien gibt es aber keine Dinge. Das
Weitere Kostenlose Bücher