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Warum es die Welt nicht gibt

Warum es die Welt nicht gibt

Titel: Warum es die Welt nicht gibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Gabriel
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Doch woher wissen wir, dass die Realität oder die Wirklichkeit selbst in diese Bereiche unterteilt ist? Ist die Einteilung der Welt in Gegenstandsbereiche wirklich mehr als eine façon de parler ?
    Dieser Einwand könnte sich auf die folgende Überlegung stützen: Viele Gegenstände, vielleicht sogar alle, sind aus anderen Gegenständen zusammengesetzt. Mein Körper besteht aus verschiedenen Organen und Extremitäten, meine Bücher haben Seiten, mein Herd hat Platten, auf Bergketten liegt manchmal Schnee, und sie setzen sich oft aus mehreren Bergen zusammen, und Wüsten bestehen aus unzählbar vielen Sandkörnern. Diese Gegenstände lassen sich umsortieren und ihre Grenzen sind oftmals unscharf. Wenn wir ein neues Tal mitten in eine Bergkette »hineinsägen« und die Kette damit trennen: Haben wir nun zwei Bergketten oder immer noch eine (mit einer kleinen Unterbrechung)?
    Oder angenommen, wir kommen in die Werkstatt eines Künstlers und sehen einen Tisch, auf dem eine Flasche zu stehen scheint. Da wir durstig sind, nähern wir uns dem Tisch und versuchen, die Flasche hochzuheben. Dabei stellen wir fest, dass der Tisch und die Flasche aus einem einzigen Guss bestehen, der vom Künstler so bearbeitet und bemalt wurde, dass er aussieht wie ein Holztisch, auf dem sich eine Flasche befindet. Auch in wissenschaftlichen Zusammenhängen geschehen solche Dinge häufig; es stellt sich etwa heraus, dass Wasser aus Molekülen besteht, die wiederum aus Atomen bestehen, die ihrerseits aus Nukleonen bestehen. Viele vermeintlich reale Gegenstandsbereiche erweisen sich als Illusionen, als menschlich-allzumenschliche Projektionen. Mit welchem Recht nehmen wir dann an, dass die Wirklichkeit selbst aus vielen Gegenstandsbereichen besteht? Sind die Schnitte, die wir setzen, nicht vielmehr Ausdruck menschlicher Erkenntnisbedürfnisse und Irrtümer? Vielleicht gibt es gar keine Gegenstandsbereiche, sondern doch nur eine einzige Gesamtheit der Tatsachen.
    In dieser Überlegung stecken eine ganze Reihe unscheinbarer kleiner Fehler, obwohl in ihr auch einige Wahrheiten zum Ausdruck kommen. Beginnen wir zunächst mit der Beobachtung, dass wir in der Tat bereit sein müssen, Gegenstandsbereiche unter bestimmten Bedingungen aus unserem Weltbild herauszustreichen, was ich ontologische R eduktion nenne. Eine ontologische Reduktion nimmt man vor, wenn man entdeckt, dass ein scheinbarer Gegenstandsbereich lediglich ein Redebereich ist, dass es sich – mit einem Wort – bei einem scheinbar objektiven Diskurs um Geschwätz handelt. In diesem Sinn ist alles, was man in der frühneuzeitlichen Hexenbulle und verwandten Texten über Hexen liest, Geschwätz; wenn es auch seinerzeit letztlich ein Versuch war, dem Hexenunsinn mit ein wenig Rationalität zu begegnen. Man wird diesen Texten deswegen auch nur gerecht, indem man sich nach den historischen und psychologischen Umständen erkundigt, unter denen sie entstanden sind. Sie sind lediglich historische Dokumente, aber keine Dokumente, die Wissen über Hexen beinhalten. Wer sich von ihnen Informationen über Hexen verspricht, ist massiv fehlgeleitet, und wäre mit Hänsel und Gretel besser bedient. Ähnlich steht es mit der Einteilung der Tier- oder Pflanzenwelt. Die Biologie hat uns gelehrt, dass Wale keine Fische sind und dass Erdbeeren keine Beeren sind, sondern zu den Sammelnussfrüchten gehören. Vieles, was wir über die »Welt« herausfinden, führt dazu, dass wir ontologische Reduktionen vornehmen, da wir Menschen uns einfach über lange Zeit hinweg über viele Dinge massiv im Irrtum befinden.
    In der Neuzeit hat dies in den letzten fünfhundert Jahren dazu geführt, dass wir allenfalls noch den Wissenschaften zutrauen, wirklich herauszufinden, was der Fall ist. Da wir nun einmal herausgefunden haben, dass viele Gegenstandsbereiche nur leere Redebereiche, reines Geschwätz sind, haben wir den Begriff der ontologischen Reduktion gewonnen. »Reduktion« heißt wörtlich übersetzt »Zurückführung«. Wenn man eine ontologische Reduktion vornimmt, führt man einen Gegenstandsbereich auf einen Redebereich zurück und zeigt, dass dieser nicht in der von ihm selbst unterstellten Weise objektiv ist, sondern durch bestimmte historische, sozioökonomische oder psychologische Zufälligkeiten bestimmt ist. Für viele Gegenstandsbereiche brauchen wir deswegen eine Irrtumstheorie. Eine I rrtumstheorie erklärt den systematischen Irrtum eines Redebereichs und führt diesen auf eine Reihe fehlerhafter

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