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Warum es die Welt nicht gibt

Warum es die Welt nicht gibt

Titel: Warum es die Welt nicht gibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Gabriel
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zeigt ein einfaches Gedankenexperiment: Stellen wir uns einmal vor, es gäbe überhaupt gar nichts: keine Raumzeit, keine Erdmännchen, keine Strümpfe, keine Planeten, keine Sonnen, einfach gar nichts. In dieser ausgesprochen öden und trostlosen Situation wäre es der Fall, dass es gar nichts gäbe, und der Gedanke, dass es in diesem Fall gar nichts gibt, scheint wahr zu sein. Daraus folgt aber, dass es auch im öden Nichts zumindest eine Tatsache gibt, nämlich die Tatsache, dass es sich um ein ödes Nichts handelt. Doch diese Tatsache wäre selbst keineswegs überhaupt nichts. Im Gegenteil, sie wäre das alles entscheidende Faktum, die Wahrheit über die absolute Einöde. Demnach gibt es auch im öden Nichts etwas, nämlich dasjenige, was über das öde Nichts wahr ist. Daraus folgt, dass es unmöglich ist, dass es absolut gar nichts gibt. Denn es muss mindestens eine Tatsache geben, damit es nichts anderes geben kann.
    Eine Welt ohne Tatsachen gibt es nicht. Es gibt nicht einmal nichts, ohne dass es eine Tatsache wäre, dass es nichts gibt. Wenn es nichts zum Mittagessen gibt, ist dies eine Tatsache, und unter Umständen eine sehr ärgerliche. Das Nichts gibt es nicht. Immer ist irgendetwas der Fall, immer ist irgendetwas wahr über irgendetwas. Den Tatsachen kann nichts und niemand entrinnen. Egal, wie allmächtig Gott ist, auch Gott könnte den Tatsachen nicht entrinnen, da es immerhin eine Tatsache wäre, dass er / sie / es Gott ist und nicht nichts. Eine Welt ohne Dinge ist hingegen leicht denkbar. In meinen Träumen gibt es keine raumzeitlich ausgedehnten, sondern nur geträumte Gegenstände (das ist auch die zentrale Unterscheidung zwischen Gegenständen und Dingen: Letztere sind immer konkreter, materieller Natur, Erstere nicht unbedingt). Geträumte Gegenstände ähneln raumzeitlichen Dingen, sie sind aber keine, es sei denn, wir steigen im Traum aus unserem Körper aus und reisen im Universum herum – was ich persönlich für ausgesprochen unwahrscheinlich halte.
    Wir wissen nun schon, dass die Welt ein Gesamtzusammenhang ist. Wir wissen auch, dass die Welt nicht nur die Gesamtheit der Gegenstände oder Dinge ist, sondern auch der Tatsachen. An dieser Stelle hört Wittgensteins Analyse auf, weil er der Meinung war, dass es eine Gesamtheit der Tatsachen gibt, durch welche die Welt definiert ist.
    Wir wissen aber bereits mehr als Wittgenstein, da wir bereits wissen, dass es nicht nur Dinge, Gegenstände und Tatsachen, sondern auch noch Gegenstandsbereiche gibt. Deswegen können wir jetzt schon einmal festhalten: Die W elt ist ein Bereich von Bereichen, der Gegenstandsbereich, der alle Gegenstandsbereiche beheimatet (anders als das Universum, das nur den Gegenstandsbereich der Naturwissenschaft beherbergt). Wir wissen auch, dass es mehrere Gegenstandsbereiche gibt, die sich teilweise gegenseitig ausschließen, teilweise aber auch auf verschiedene Weisen einschließen. Der Gegenstandsbereich der Kunstgeschichte schließt aus, dass man die Kunstwerke der Renaissance in einem Labor chemisch auflöst und wieder neu zusammensetzt. Dies würde die Gegenstände der Kunstgeschichte vernichten. Der Gegenstandsbereich der natürlichen Zahlen schließt hingegen den Gegenstandsbereich der geraden Zahlen ein. Der Gegenstandsbereich der demokratischen Kommunalpolitik schließt aus, dass nur eine einzige Partei zur Wahl antreten darf, er schließt also Einparteiensysteme aus, er schließt aber andere Gegenstandsbereiche ein, beispielsweise den ortsansässigen Kegelklub.
    Die Tatsachen sind also nicht einfach alle gleich. Vielmehr ist der Boden der Tatsachen in Gegenstandsbereiche eingeteilt. Dass dies sogar notwendigerweise so ist, werden wir noch erkennen. An diesem Punkt unserer Überlegungen genügt es festzustellen, dass es zumindest offensichtlich so ist, dass es mehrere Gegenstandsbereiche gibt. Der Boden der Tatsachen hat also Strukturen, er ist unterteilt in Regionen, in ontologische P rovinzen .
    An dieser Stelle könnte man wiederum einen Einwand erheben. Sind die Gegenstandsbereiche wirklich ontologische Provinzen auf dem Boden der Tatsachen, sozusagen wirklich voneinander unterschiedene Bereiche der Realität? Ist der Boden der Tatsachen wirklich eine Art Flickenteppich? Dagegen scheint zu sprechen, dass die Gegenstandsbereiche, von denen bisher die Rede war, in Wahrheit Redebereiche sind. Wir reden über Wohnzimmer und Elementarteilchen, über Kaffeeflecken und Kommunalpolitiker, Giraffen und den Erdmond.

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