Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition)
nicht als ihre Forschungsaufgabe sehen. Dies würde syrische, aramäische und vermutlich noch andere Sprachkenntnisse sowie archäologische und numismatische Studien voraussetzen. Also beschränke ich mich aufs Christentum. Dieses hat bekanntlich allein schon viele, teils sich widersprechende Formen. Darauf komme ich bald zu sprechen.
Zuvor noch ein kurzes Wort zur Art meiner Untersuchung: Sie dient meiner Selbstverständigung und bleibt philosophisch, auch wo sie theologische Themen berührt. Da das Christentum ein historischer Gegenstand ist, nehme ich alles Historische genau. Ich gehe von den gegenwärtigen Präsentationen des Christentums auf die alten Glaubensbekenntnisse und teilweise auch auf die Bibel zurück. Es soll das Bild einer geschichtlichen Bewegung entstehen, nicht das einer abstrakten, mir entgegenstehenden These. Ich argumentiere überprüfbar, philologisch, ohne mich in die Einzelheiten zu vertiefen, die bei Spezialuntersuchungen nötig sind. Aber ohne Details geht es nicht. Das philosophische Denken wird nicht gründlicher, wenn es sich keine präzisen Wahrnehmungen verschafft. Wahrnehmungen muß man sich verschaffen ; die Objekte fallen nicht in uns hinein. Gewiß gibt es Leute, die sich zu viele Wahrnehmungen verschaffen, die nur sammeln und wenig denken. Ich versuche Philosophie mit Historie zu verbinden; also über Wahrheit nachzudenken, ohne wichtige Texte der Bibel oder Entwicklungen im Denken Augustins oder Luthers zu übersehen. Ich will die Quellen des christlichen Denkens genau lesen und fragen, wo heute für mich einlösbare Wahrheitschancen liegen. Ich will als Philosoph aus Interesse an Wahrheit historisch exakt über das Christentum als geschichtlich vorgegebene Serie von Komplexen sprechen. Wer historisch arbeitet, legt nicht seine Herzensangelegenheiten in die Dokumente der christlichen Religion. Skepsis verdienen philosophierende Autoren, die erst das Christentum verändern, verbessern, also reformieren wollen, um es dann von ganzem Herzen zu bejahen. Sie sagen, das Kirchenchristentum verstehe seine eigene Intention nicht recht. Diese müsse man ihm klarmachen, und dann werde es zur Religion der Zukunft, deren Stunde jetzt schlage. Meist wollen sie ihm das buchstäbliche Selbstverständnis abgewöhnen. Sie hätten es gern freier, bildlicher, und menschlicher; sie halten nur das von ihnen ausgedachte Christentum für das wahre. Solche Philosophen, die auch Theologen sein können, wollen eigentlich eine andere Kirche gründen. Aber das ist nicht die Aufgabe von Philosophen; das gelingt außerdem nicht.
Ein Beispiel solcher Wohlgesinnter ist Gianni Vattimo. Er liebt seine katholische Kirche und will sich nicht von ihr trennen. Nur soll sie anders über Frauen und Homosexuelle denken als sie es tut. Vattimo verlangt noch mehr von ihr: Sie soll den ‹Objektivimus› ihres Wahrheitskonzepts aufgeben und eine neue Auslegung ihrer Botschaft erlauben. Sie soll ihre Dogmen metaphorisch deuten.
Es sieht nicht danach aus, als wolle die römische Kirche Vattimos Wünsche erfüllen. Sie waren schon 1965 illusionär. Die Frage ist, ob sie das überhaupt könnte, wenn sie es selbst wollte. Vattimo kommt mir vor wie ein freundlicher und sensibler junger Mann, der aus Familientradition in einen Anglerverein geraten ist – es gibt übrigens in Deutschland noch Fischerzünfte, in die man hineingeboren wird und in die kein Fremder kommt –, der aber dann seine Sympathie für Fische entdeckt und vorschlägt, der Anglerverein soll sich in Zukunft mit dem Häkeln von Tischdeckchen statt mit dem Töten von Fischen befassen. Ich bewundere die seelische Feinheit solcher junger Männer, aber Erfolgsaussichten versprechen kann man ihnen nicht. Ihr Herzenswunsch beweist noch keine besondere philosophische Qualifikation. Philosophisch kohärent wäre, den Anglerverein zu verlassen, ohne ihn zu verfluchen, denn er zeigt nur das übliche Beharrungsvermögen, dem alte Vereine ihren Fortbestand verdanken.
2. Was heißt hier ‹Christ›?
«Wenn man’s so hört,
möcht’s leidlich scheinen,
Steht aber doch immer schief darum;
Denn du hast kein Christentum.»
Margarete zu Faust, Goethe, Faust I,
Marthens Garten, Vers 346ff.
Wer sagt, er sei kein Christ, muß wohl hinzusagen, was er unter ‹Christsein› versteht. Das ist gar nicht so leicht. Denn es gibt nicht das Christentum, sondern Christentümer. Zum Glück brauche ich nicht zu entscheiden, wer das Recht hat, sich ‹Christ› zu nennen. Der
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