Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition)
Tonfolge, Wortwahl und Schönheit des Rhythmus bringen die Ruhe dieses Himmels mit sich. Sie bewirken, was sie sagen: ein einziger dunkler Vokal im unbetonten «und». Sonst an den betonten Stellen nur i- und e-Töne. Ein Beispiel für poetische Wahrheit für den, dem der Satz etwas sagt.
Die zwei Zeilen stellen in ihrer Klarheit und Kürze keine inhaltlichen Probleme. Sie zeigen durch sich selbst ihre Wahrheit : Sie lenken den Blick auf Himmel und Erde, also auf Alles. Sie reden nicht von Gefühlen, sondern vom Kosmos, aber sie verändern auch in dem, dem sie etwas sagen, die Stimmung. Sie stimmen um. Es ist kein berühmter Satz; er kommt in keiner höheren Schulbildung vor. Der Gedanke, irgendeine Autorität müßte oder könnte ihn bestätigen, fällt in sich zusammen. Ich vergesse nicht, daß ich ihn ausgewählt, um nicht zu sagen: ausgegraben habe. Er war nie ‹umstritten›, nie die Parole einer um Macht kämpfenden Gruppe. Das unterscheidet ihn von dem Satz: «Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde». Dieser Satz trat jahrtausendelang als unbestreitbares Gotteswort auf, bewehrt mit der intellektuellen Position der Kirchen und ihrer Gewalt über die Polizei. Es wäre eine naive Abstraktion, ihn unabhängig von den Kämpfen betrachten zu wollen, die er ausgelöst hat und in den Debatten um intelligent design heute noch auslöst. Er hat Schlagwortcharakter und schafft heute in den USA manchem Naturforscher und Pädagogen Schwierigkeiten. Er ist nicht der Satz eines Liebenden, der seine bange Geliebte tröstet; er soll das Wort Gottes sein, das die Wahrheit über das Universum enthalte und heute gegen die Evolutionstheorie in Stellung gebracht wird. Es gibt Geschichten und Sätze, die durch ihre Stilisierung zur göttlichen Autorität und durch jahrhundertealten Auslegungsstreit für die poetische Aneignung zerschlissen sind.
Aber über die einzelnen Texte gibt es kein definitives Urteil. Pasolini hat gezeigt, was man mit dem Matthäusevangelium im freien Gebrauch noch alles machen kann. Franz von Assisi hat entfaltet, was in den neutestamentlichen Berichten über die radikale Armut Jesu liegt. Was assimilierbar ist, hängt von geschichtlichen Konstellationen und von der religiös-poetischen Kraft Einzelner ab, die sich aus der Überlieferungsmasse ‹häretisch› ‹etwas herausnehmen›. Wer kein Christ mehr ist, hat dabei weniger Scherereien.
Auf ähnliche Art nahm ich langsam und relativ akribisch Abschied, ohne Wehmut, eher vergnügt, in dem Gefühl, etwas Neues gelernt zu haben und meine eigenen Gedanken denken zu dürfen. Ich war ein langsamer Nestflüchter. Am Ende stand das ruhig gewonnene Resultat: Ich war kein Christ mehr.
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Impressum
© Verlag C.H.Beck oHG, München 2013
Umschlaggestaltung: Anzinger/Wüschner/Rasp, München
ISBN Buch 978 3 406 65284 4
ISBN eBook 978 3 406 65285 1
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