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Was Bleibt

Was Bleibt

Titel: Was Bleibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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nach ihr. Na klar konnte das nicht gut gehen, aber hinterher ist man ja immer schlauer als vorher. Er muß für sie doch was zurechtorganisiert haben, die Rede war von Holland, und da müssen sie ihm draufgekommen sein. Jedenfalls, eines schönen Tages, als wir wieder umdie Ecke Joachimsthaler kommen, wo er immer mit seinem Auto gestanden und auf Elfi gewartet hat, damit er wenigstens einen Blick von ihr erwischte für den Tag, da steht sein Auto wieder, und im Vorbeigehn sehen wir, es ist besetzt von Herren mit diesen Trenchcoats und diesen Sporthütchen, und Elfis Freund von der SS sitzt neben dem Steuer und blickt stur geradeaus, und ich sage durch die Zähne zu Elfi: Nicht umdrehn, du! Immer stur geradeaus, und bloß jetzt nicht rennen! Und das haben wir durchgehalten. Na, von dem Kerl hat sie dann ja auch nie mehr was gehört. Alles kann man nicht haben, vielleicht hat ers kapiert. – Dreißig Mark, der Sekt.
    Von sich aus schien die Frau nichts weiter sagen zu wollen, sie mußte gefragt werden. Elfi? Die haben sie dann natürlich auch geholt. Zweiundvierzig, als sie den letzten Schub Juden aus Berlin wegbrachten. Mit ihrer ganzen Familie. Ich persönlich hab keine Freundin wie sie mehr gefunden, man wird ja wählerisch, hab ich nicht recht? Und was einem jahrzehntelang im Kopf rumgehen kann. Einen hätte man zur Not verstecken können. Aber eine ganze Familie?
    Alles Irrsinn, sagte sie noch hinter mir her. Wenn ich so zurückdenke, der reine Irrsinn.
    Darauf wollte ich nicht gleich zurückkommen, ich starrte blicklos in die Auslagen der Bahnhofsbuchhandlung, umkreiste erfolglos den Zeitungskioskund entschloß mich, doch noch in die neue Kaufhalle im Japanhaus zu gehen; einkaufen, das bewährte Betäubungsmittel, schlug nicht an, aber ich bekam Sanddornmost für H., er habe immer Durst, hatte er mir gesagt. Die Frauen, die an der Kasse anstanden, waren fast alle zu dick und hielten sich schlecht. Ich suchte gewohnheitsmäßig das eine Gesicht, das sich mir auf Anruf zuwenden würde, fand es nicht, bis eine jüngere Frau, die nach gar nichts aussah, einer anderen, älteren, den Vortritt ließ, weil sie nicht mehr stehen konnte. Also ist es doch möglich, dachte ich. Es müßte doch möglich sein. Trotzdem wich das starke absondernde Gefühl von Fremdheit nicht, aber ich wußte, daß ich mich nicht daran klammern durfte. Selbst wenn die vor mir in der Schlange nichts wußten; kaum etwas ahnten; was schlimmer war: nichts wissen wollten – so durfte man doch nicht zu kurz zielen, um sie zu erreichen, lieber etwas höher, weiter, auf Zukunft hin.
    Ja, ja doch. Ich wurde mir selber lästig. Ich ging noch in die Post, Geld holen. Jemand, der mich gekannt hätte, hätte mir angesehen, wie gereizt ich war. Mir war jetzt alles zuviel, mir dauerte jetzt alles zu lange, obwohl ich mich gleichzeitig fragen mußte, wohin ich so schnell wollte, wonach es mich so eilig verlangte. Dieses tief verschwiegene Doppelleben immer. Dieser Reiz des Ungewissen, von dem man abhängig werden kann wie voneiner Droge. Daß ich immer den Zwang fühlte, alles auszudrücken. Dabei hatte ich meinen alten Bekannten längst entdeckt und er mich auch, da war ich sicher. Für den Bruchteil einer Sekunde hatten unsere Blicke sich gepackt, aber Jürgen M. wollte mich nicht kennen, um Bruchteile von Sekundenbruchteilen hatte sein Blick sich eher zurückgezogen als der meine. Das kannte ich ja. Und wie ich das kannte: der Vorhang, der vor den Augen des anderen niedergeht; die Fischhaut, die das Weiße im Auge des Freundes überzieht; das Gewölk, das seine Linse trübt. Wir haben uns nicht gesehen, nie gekannt. Auch gut. Besser so. Da läßt man sich eben am anderen Schalter abfertigen. Da ist man auffällig mit den Papieren beschäftigt, die man dem Postfräulein vorweisen muß, da macht man sich noch mit unnötigen Formularen zu schaffen, um nur ja nicht am Ausgang mit mir zusammenzutreffen. Aber der andere, diesmal also Jürgen M., kann ruhig sein: Ich spiele mit. Ich bin schon draußen. Ich denke nicht daran, mich umzudrehen.
    Seit wann ging ich eigentlich nicht mehr auf einen alten Bekannten zu, ohne sicher zu sein, daß er mir begegnen wollte? Seit wann streckte ich niemandem mehr als erste die Hand hin? Fing kein Gespräch mehr an? Zog mich zurück? Preisfrage: Wie viele müssen bei deinem Anblick auf die andere Straßenseite übergewechselt sein, angelegentlich die nächste Schaufensterauslage betrachtet, im Restaurantden Platz gewechselt, dir

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