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Was die Toten wissen

Was die Toten wissen

Titel: Was die Toten wissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Lippman
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behauptet, Tony lebte und dass sie Geld bräuchte, weil er sie bestimmt verfolgen und es ihr heimzahlen würde, dass sie ihn verlassen hatte. Penelope gab Sunny insgeheim die Schuld daran, dass er noch lebte und immer noch Frauen misshandelte, und stimmte es etwa nicht? Wenn sie in dieser
Nacht im Motel die Polizei gerufen hätte. Wenn sie einfach nur geschrien hätte und die anderen Gäste und der Manager daraufhin hereingestürmt wären. Aber sie war verängstigt gewesen und stumm geblieben, hatte glauben wollen, dass sich Heathers Tod verschweigen ließ. Es war letztlich ihr Fehler gewesen. »Sei nett zu deiner Schwester « , hatte ihr Vater gesagt. »Eines Tages werden deine Mutter und ich nicht mehr da sein, und dann habt ihr nur noch euch.« Es war anders gekommen.
     
    »Aber …«, begann Miriam, dann versagte ihr die Stimme, als ob die Aufgabe, die ihr bevorstand, nicht zu bewältigen wäre, als ob es noch so viele Fragen gäbe, dass sie sich unmöglich auf eine festlegen konnte. Sunny dachte an all die Dinge, die Mütter tagtäglich fragten. Wo warst du? Was hast du gemacht? Was war los in der Schule? Sie erinnerte sich daran, wie sie die Neugier ihrer Mutter genervt hatte, als sie in die Neunte kam und Tony begegnet war, wie sie gelernt hatte, alle ihre Gefühle und Geheimnisse hinter der wortkargen Mauer der Heranwachsenden zu verbergen. Nirgendwo. Nichts. Nichts . Jetzt würde sie nur allzu gern die Fragen ihrer Mutter beantworten, wenn ihrer Mutter nur einfiele, was sie fragen wollte. Sunny beschloss, ihr das Naheliegendste und Persönlichste anzuvertrauen, was es für sie gab, eben das, was sie nur widerwillig preisgeben wollte, weil sie glaubte, dass es das Letzte, das Einzige war, was noch ihr gehörte.
    »Ich arbeite im Informatikbereich bei einer Versicherungsgesellschaft in Reston, Virginia. Ich benutze den Namen Cameron Heinz, aber bei der Arbeit nennen sie mich alle Ketch.«
    »Wie?«
    »Ketch wie Ketchup. Heinz. Verstehst du? Cameron Heinz starb in den Sechzigern bei einem Feuer in Florida. Brände sind immer gut. Ich will einfach nur wieder diese Person sein. Aber ich will auch Sunny sein und Zeit mit dir verbringen, jetzt, wo ich weiß, dass du lebst. Ist beides denn möglich? Ich
war so lange eine andere, kann ich nicht einfach wieder ich selbst sein, ohne dass es jemand mitkriegt?«
    Lenhardt wandte ein: »Ich glaube, es gibt da eine Möglichkeit, wenn Sie sich eine kleine Schwindelei zutrauen.«
    »Ich denke, ich habe bewiesen«, erwiderte Sunny, »dass ich zu weit mehr als einer kleinen Schwindelei fähig bin.«
     
    Zwei Wochen später gab die Polizei von Baltimore eine Meldung heraus. Leichensuchhunde hatten die Überreste von Heather Bethany in Glen Rock, Pennsylvania, aufgespürt. Das war von vorn bis hinten erlogen, und es amüsierte Lenhardt unendlich, wie leicht die Reporter und die Öffentlichkeit darauf hereinfielen – Leichensuchhunde spürten dreißig Jahre alte Knochen auf, die unverzüglich und problemlos zugeordnet werden konnten, als ob dies so einfach und so schnell zu schaffen wäre. Sie gaben an, dass ein anonymer Hinweis die Polizei zu der Stelle geführt habe. Rein theoretisch stimmte das, wenn man Cameron Heinz als die anonyme Informantin betrachtete und die Verbindung zu Sunny Bethany nicht erwähnte. Die Polizei hatte herausgefunden, dass die Tat von Tony Dunham begangen worden war und dass seine Eltern das Verbrechen vertuscht und die überlebende Schwester Sunny in Geiselhaft gehalten hatten. Sunny war der Familie zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt entkommen und hatte zwischenzeitlich einen anderen Namen angenommen. Über ihre Anwältin, Gloria Bustamante, ließ Sunny mitteilen, sie bitte die Presse um Wahrung ihrer Privatsphäre. Sie wolle anonym bleiben – ein Recht, das jedem Opfer von sexueller Gewalt zustehe – und habe kein Bedürfnis, über die vergangenen Ereignisse zu sprechen. Und außerdem, sagte Gloria, die es in vollen Zügen genoss, vor die Presse zu treten, lebe ihre Mandantin im Ausland, ebenso wie deren Mutter.
    »Das kommt schon hin«, sagte Lenhardt später zu Infante. »Reston in Virginia ist schließlich Ausland, was mich angeht.

    Warst du jemals dort und hast all die Bürogebäude und Hochhäuser gesehen? Jeder könnte dort untertauchen.«
    »Jeder könnte überall untertauchen«, warf Infante ein.
    Im Grunde hatte Sunny Bethany dreißig Jahre lang nichts anderes getan – als Schülerin einer kleinen Pfarrgemeinde, als

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