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Was die Toten wissen

Was die Toten wissen

Titel: Was die Toten wissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Lippman
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Kev?«
    »Ja?«
    »Kennst du den alten Spruch: Da hast du dich nicht gerade mit Ruhm bekleckert? Mit was immer du dich sonst bekleckert hast, es war gelb. Hat dich denn niemand auf den gelben Schmierer aufmerksam gemacht, als du heute schon so früh gearbeitet hast?«
    Infantes Hand schoss blitzartig zum Mund und fand das verräterische bisschen Eigelb in seinem Mundwinkel. »Wir haben uns zum Frühstück getroffen«, sagte er. »Ich bin an einem Informanten dran, der vielleicht etwas über McGowan weiß.«
    »Lügst du jetzt schon ganz automatisch?« Der Sergeant klang dabei nicht unfreundlich. »Oder übst du nur schon mal für deine nächste Ehe?«

Kapitel 3
    Der junge Arzt brauchte recht lange, um sich ein Gebäckstück auszusuchen, zeigte erst auf einen Krapfen, entschloss sich dann für die Blätterteigtasche und landete schließlich doch wieder bei dem Krapfen. Kay Sullivan hinter ihm konnte seine Vorfreude regelrecht nachempfinden, gleichzeitig beneidete sie ihn aber auch um die Reuelosigkeit seiner Entscheidung. Er war erst sechs-, höchstens siebenundzwanzig, rank und schlank, und verbrauchte die Kalorien bestimmt schnell wieder. Es würde noch Jahre dauern, bis er sich Gedanken machen musste, was er sich da in den Mund steckte – falls es überhaupt jemals so weit kommen würde. Manche hatten das einfach nicht nötig, vor allem Männer, und der hier genoss das Essen. Der Krapfen war für ihn definitiv etwas Besonderes, die Belohnung am Ende einer langen Nachtschicht. Kay meinte, fast selbst hineinbeißen und den Zucker schmecken zu können.
    Sie setzte sich mit ihrem Kaffee in eine Ecke und zog ein Taschenbuch aus ihrer Handtasche. In der Handtasche, im Büro, im Auto, in der Küche, im Badezimmer – Kay hatte überall Taschenbücher deponiert. Vor fünf Jahren, als ihre Scheidung noch frisch und die Wunden alles andere als verheilt waren, hatten Bücher sie schlicht von der Tatsache abgelenkt, dass sie allein war. Aber mit der Zeit musste Kay erkennen, dass sie Bücher der Gesellschaft anderer vorzog. Lesen stellte für sie keine Rückzugsstrategie dar, es war vielmehr ein Idealzustand. Zu Hause musste sie sich regelrecht zusammenreißen, um sich nicht hinter Büchern zu verstecken. Sie versuchte zwar, sich auf die Fernsehsendung, die Grace oder Seth ausgesucht hatte, zu konzentrieren, ertappte sich aber dabei, wie sie unentwegt sehnsüchtig auf das Buch ganz in ihrer Nähe schielte. Hier bei der Arbeit, wo sie sich in den Pausen und zum Essen allen
möglichen Kollegen hätte anschließen können, saß sie fast immer alleine da und las. Die anderen nannten sie hinter ihrem Rücken – das nahm sie zumindest an – bestimmt die Un sozialarbeiterin. Obwohl Kay den Eindruck erweckte, immer in ihre Bücher vertieft zu sein, entging ihr nur wenig.
    An diesem Morgen beispielsweise hatte sie innerhalb weniger Minuten sämtliche Einzelheiten zu der Geschichte mit der Unbekannten zusammengetragen. Alle waren sich darüber einig, dass die Frau eine Schwindlerin war, die aus reiner Verzweiflung Unsinn daherredete. Auf der anderen Seite litt sie an einer leichten Kopfverletzung, die das Erinnerungsvermögen sehr wohl beeinträchtigen konnte. Man wollte einen Psychologen hinzuziehen, aber da Kay bereits seit über einem Jahr nicht mehr in dieser Abteilung arbeitete, ging sie das nichts an. Die Verletzungen der Frau passten zu dem Unfall, und sie war offensichtlich weder obdach- noch arbeitslos und schien auch nicht von ihrem Partner missbraucht worden zu sein – Kays Spezialgebiet. Natürlich wollte die Frau auch nicht sagen, ob sie krankenversichert war, aber das war zu diesem Zeitpunkt nur für die Verwaltung und die Kostenstelle ein Problem. Wenn sich herausstellen sollte, dass sie nicht versichert war, was bei der derzeitigen Wirtschaftslage gut möglich war, könnte es an Kay sein, eine Lösung für die anfallenden Kosten zu finden.
    Aber bis dahin war die Unbekannte nicht ihr Problem und Kay sicher in der Welt von Charlotte Brontë. Ihre Lesegruppe hatte diesen Monat Jane Eyre ausgewählt. Kay war nicht sonderlich begeistert von der Lesegruppe, der sie beigetreten war, als ihre Ehe kurz vor dem endgültigen Aus stand, aber sie diente als guter Vorwand für das ständige Lesen. »Lesegruppe«, konnte sie dann immer entgegnen und das Taschenbuch, das sie gerade las, vorzeigen. »Ich hinke wie immer hinterher.« Bei der Lesegruppe – allesamt Leute aus ihrer Nachbarschaft – ging viel mehr Zeit für Essen und

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