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Was gewesen wäre

Was gewesen wäre

Titel: Was gewesen wäre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregor Sander
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Osten, aber für einen Moment konnte ich mir vorstellen, dass dort Westen wäre. Julius wollte ein Stück alleine laufen, um wieder zu sich zu kommen, und ich saß neben Sascha und guckte aufs Wasser. »Baden wäre schön jetzt«, sagte er. »Aber das geht hier ja nicht. Bei uns in Hamburg natürlich auch nicht. Ist ja das gleiche Wasser.«
    »Warum trefft ihr euch hier in diesem trostlosen Wittenberge?« Mir kam die Stadt vor wie im Stillgestanden. Alles war gerade und geharkt, klein und spießig. Vom Geruch ganz zu schweigen. »Na wegen Herminchen. Ich beantrage immer eine Reise hierher. Julius und ich haben uns auch schon in Budapest getroffen oder in Prag, aber dann mit unserem Vater.« Er machte eine kurze Pause, sah mich an und deutete auf den Fluss.
    »Als Kinder waren wir hier glücklich. Ich glaube, mein Vater vermisst diesen stinkenden Ort immer noch. Wie oft der mir schon erzählt hat, wie sie hier gelömert haben. Wenn die Elbe über die Ufer getreten war und sich nach einer Weile wieder zurückzog, dann konnte man in den verbleibenden Wasserlachen Fische mit der Hand fangen. Solche Dinger«, sagte er und riss die Arme auseinander. »Und dass wir in Hamburg in Blankenese wohnen mit Blick auf die Elbe, das hat auch mit diesem Nest zu tun. Herminchen hat ihr Leben lang in der Zellwolle gearbeitet, und du hast ja gesehen, wie sie wohnt. Wenn die bei uns in Hamburg ist, hast du trotzdem den Eindruck, die kann gar nicht abwarten, wieder nach Wittenberge zu kommen.«
    Julius kam zurück und setzte sich neben mich. »Seht ihr auch diesen Sonnenuntergang, oder seh nur ich den?«, fragte er und legte seinen Kopf in meinen Schoß. »Ist es weg?«, fragte ich. »Also, bist du wieder klar?« Julius zog die Schultern hoch und sagte: »Ich weiß nicht mehr, wie es vorher war.«
    Bei der Rückfahrt saß ich wieder vorn. Ich war einfach schneller als Sascha. Die Häuser lagen dunkel und still, ein paar Mal flackerte bläuliches Fernsehlicht hinter zugezogenen Gardinen. Der ganze Ort war wie ausgestorben. »Mensch, dagegen ist Neubrandenburg ja gold«, sagte ich. Julius starrte auf die leere Straße vor uns und sagte: »Ich bin froh, wenn ich in Herminchens kleiner Höhle bin. Kann man denn schlafen mit dem Zeug?«
    »Eigentlich schon, aber ich habe noch nie so viel genommen wie du«, sagte Sascha, und seine Stimme klang merkwürdig weit weg.
    Es war kein Licht mehr zu sehen in Herminchens Wohnung, aber sie war noch wach. Saß wie ein Gespenst in einem Sessel neben der Balkontür. Bekleidet mit einem weißen, knöchellangen Nachthemd, ihre Hornbrille auf der Nase. »Ist ja so heiß«, sagte sie. »Warum setzt du dich denn nicht auf den Balkon?«, fragte Julius, und ich bemerkte, dass auf dem kleinen Balkon gar keine Möbel standen. Kein Tisch, kein Stuhl oder sonst irgendwas. Nur graue brusthohe Betonwände. »Ach lass man«, sagte sie. »Ich muss morgen früh raus zum Fleischer. Da gibt es Schweinefilet. Aber wenn du dich nicht um sechs anstellst, denn kriegt man keins mehr ab. Und ihr braucht doch Kraft, ihr jungen Kerle.« Sie zeigte auf mich: »Die Kleine schläft bei mir im Bett, Julius auf dem Sofa, und für Sascha müsst ihr noch die Luftmatratze aufblasen. Und morgen sollt ihr euch ins Hausbuch eintragen. Der Neumann aus dem 1. Stock ist eben schon da gewesen.«
    Später standen wir auf dem Balkon. Nur Julius und ich. Rücken an Bauch, und er hatte seine Hände unter meinem T-Shirt. Strich sanft über meine Brüste, und ich lehnte mich an ihn. Sein Schwanz war hart, und ich wippte ein paar Mal mit dem Hintern dagegen. Unter uns auf einem der Balkone klirrten Flaschen, und jemand sagte: »Das kannste halten wie ein Dachdecker. Nur nicht so hoch.« Wir guckten in die Sterne über uns. »Schön eigentlich hier«, sagte Julius. Ich fragte mich, ob Herminchens Hand auch im Schlaf über die Bettdecke streichen würde, und dann sagte ich: »Mit dir ist es überall schön.«

Glückstreffer
    Der Raum ist absolut dunkel. Vor der Flügeltür aus Holz, deren Scheiben von bröckligem Kitt gehalten werden, hängen schwere weinrote Samtvorhänge und lassen kein Licht hindurch. Der Mond hatte rund und fast voll über der Donau gestanden, als sie vor dem Ins-Bett-Gehen noch ein paar Minuten auf dem Balkon waren. Schweigend hatte Paul Astrid im Arm gehalten und da das Gefühl gehabt, angekommen zu sein mit ihr. Zumindest in Budapest. Sie waren ins Café Central gegangen, ein Wiener Kaffeehaus auf der Pester Seite. Astrid hatte

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