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Was gewesen wäre

Was gewesen wäre

Titel: Was gewesen wäre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregor Sander
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sie: »Gar nichts. Es ist noch Schwarzbrot da, und ich esse morgens sowieso kaum etwas.« Paul stand da, mit seinem halb übergezogenen T-Shirt. Die Vorstellung, nur für sich Brötchen und Croissants zu holen, war absolut trostlos, und er hatte noch nie eine Frau kennengelernt, die es nicht mochte, wenn er morgens zum Bäcker ging. Umso erstaunter war er, als er einmal bei ihr übernachtete und Astrid am nächsten Morgen zur Arbeit musste. Hastig hatte sie sich angezogen und war im Bad verschwunden. Er begleitete sie zur U-Bahn und schob dabei das Fahrrad neben ihr her. Sie sprang plötzlich in einen Bäckerladen und kam mit einem Croissant und einem Kaffee wieder heraus. Vermutlich hatte er erstaunt geguckt, denn sie sagte entschuldigend: »Das mache ich immer so, wenn die Kinder nicht da sind. Ach du Armer, willst du auch etwas? Hätte ich dir was mitbringen sollen?«
    »Du magst also Croissants?«
    »Ja, schon, auf dem Weg zur Arbeit in der U-Bahn oder in Paris.« Sie hatte ihm mit ihrem Kaffee zugeprostet.
    Paul lacht im Bett neben der schlafenden Astrid und sieht das ideale Frühstück vor sich. Frische Brötchen von einem richtigen Bäcker, nicht von einem, der nur Rohlinge warm macht, eine Zeitung, einen Kaffee und ja, danach eine Zigarette. Die erste, die man im ganzen Körper spürt. Schrecklich und großartig zugleich. Seit einem halben Jahr hat er keine Zigarette mehr nach dem Frühstück geraucht.
    »Ich geh runter in die Bar«, denkt Paul. Vorsichtig steht er auf und tastet sich am Rand des Bettes entlang. Er angelt nach seiner Hose, und dabei stößt er mit dem linken Schienbein gegen die offene Badezimmertür. Der Schmerz ist heftig, stechend, und Paul entfährt ein Schrei. Er hört, wie Astrid hochfährt. »Was ist, Finchen, hast du …?« Auf einem Bein hüpfend, den Mund jetzt lautlos weit aufgerissen, umfasst Paul den schmerzenden Unterschenkel: »Astrid, alles gut, wir sind in Budapest. Fine ist gar nicht da.« Er hört, wie sie zurück auf das Kissen fällt.
    »Oh, was machst du denn da? Ich hab mich so erschrocken.«
    »Ich hab mich gestoßen. An der Klotür. Es ist so scheißdunkel.«
    »Warum schläfst du denn nicht? Komm ins Bett, ja«, sagt Astrid, und Paul hört kurz darauf an ihrem gleichmäßigen Atem, dass sie schon wieder schläft. Er steht immer noch da mit seinem Schienbein in der Hand.
    Langsam humpelt er ins Bad und betätigt den Schalter, und für einen Moment ist er geblendet von dem hellen gelblichen Licht, dann sieht er ein dünnes Rinnsal Blut an seinem Schienbein hinunterlaufen. Paul lässt sich auf die Klobrille fallen, reißt Papier von der Rolle und drückt es auf sein Schienbein.
    »Bin ich kompliziert?«
    »Ja, aber in deiner Kompliziertheit bist du einfach«, hatte Paul damals geantwortet, und es war an Astrids Gesicht nicht zu erkennen gewesen, ob sie damit zufrieden war. Er war stolz gewesen auf diesen Satz. Wenn er für sie gekocht hatte in seiner kleinen Wohnung im Wedding, dann konnte er sicher sein, dass sie nicht direkt zu ihm an den Tisch kam. Dass sie entweder erst duschen musste oder noch einmal runterlaufen zur Bude, weil sie Lust auf ein Bier hatte und er kein Bier im Haus. Auch dass sie irgendeine Zutat nicht mochte. Artischocken gar nicht, Schmorgurken konnte sie schon als Kind nicht ausstehen, und lustig fand er auch, dass sie als Ärztin keine Knochen mochte. Ein ganzes Lammkarree mit Kräuterknoblauchkruste musste er wieder vom Tisch nehmen und dann vom Knochen schälen, weil Astrid fand, das sehe aus wie ein Kinderrücken. Gegessen hat sie es dann aber doch, und zwar mit großem Appetit. Beim Sex hatte er das Gefühl, dass sie sich gern treiben ließ und er manchmal nicht wusste, wo sie eigentlich gerade war. Aber kompliziert war etwas anderes.
    Paul ist fünfundvierzig Jahre alt, und die meisten Frauen, mit denen er zusammen war, hatten sich von ihm getrennt. Alle eigentlich. Nach vier Jahren oder schon nach drei Monaten. Immer hatte er sie am Ende dazu gebracht, dass sie ihn verließen. So hatte es ihm die Psychologin erklärt, zu der er seit einem Jahr ging. Paul lag dabei nicht auf einer Couch, sondern sie saßen sich an einem kleinen runden Tisch gegenüber. Jeder mit einem Tee vor sich. Wie in einem Café. »Wie haben Sie das denn immer wieder geschafft, dass sich alle Frauen von Ihnen trennen wollten?«, hatte Frau Jeschonek gefragt und dabei freundlich gelächelt. So als hätte er sie alle mutwillig dazu gebracht, ihn zu verlassen. Erst hatte

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