Was gewesen wäre
er dagegen protestiert und später dann tagelang darüber nachgedacht.
»Und keine wollte ein Kind mit dir?«, hatte Astrid ihn gefragt. Paul hatte den Kopf geschüttelt. »Nicht direkt, nein.«
»Was heißt nicht direkt?« Da saßen sie auf seinem kleinen Balkon in Berlin über der Panke, und wenn er das Rinnsal verglich mit diesem Highway von Fluss in Budapest, dann war das wirklich Äpfel mit Birnen vergleichen. Oder eher Äpfel mit Melonen. Dieses schmale Flüsschen, komplett gebändigt von der Stadt. Trotzdem mochte er die Panke sehr, zog sie der Spree im Berliner Zentrum vor, die etwas für Touristen war oder für Idioten. Der kleinen Panke fühlte er sich verwandt, auch wenn er nicht so genau wissen wollte, was da alles im flachen Wasser mitschwamm. Er liebte die Bewegungen der grünen Wasserfarne, die sich in Fließrichtung unter der Oberfläche bogen, und die Graffiti an der Uferbefestigung aus Beton.
Die selten etwas bedeuten wollten und oft nur Farbe und Form waren.
Astrid hatte ihre Füße in das florale Metallgitter des Balkons gestellt. Ihre Fußnägel waren hellblau lackiert. Mit beiden Händen umschloss sie ihr Rotweinglas. Sie trank immer Rotwein, auch bei dreißig Grad im Schatten. »Was heißt nicht direkt?«, fragte sie noch einmal und sah ihn nicht an dabei, sondern hinunter auf die Panke. »Auch als du älter wurdest, nicht? Die Mädels sind doch auch älter geworden, oder? Als ihr so auf die vierzig zu seid, da hat keine gesagt, dass sie ein Kind will? Ich meine, manche suchen doch in dem Alter irgendwen, nur damit es mit einem Baby klappt. Hat dir keine die Pistole auf die Brust gesetzt?«
Paul hatte sein Kinn auf die Brüstung des Balkons gelegt. »Mit einer habe ich mir das vier Jahre lang überlegt. Mit Sandra. Nee, vier Jahre lang waren wir zusammen, aber zwei Jahre haben wir bestimmt über das Kinderthema geredet.«
»Hattet ihr Sex in diesen vier Jahren?«
»Sehr witzig, aber sie hat immer verhütet, von wegen Pistole, und dann hat sie sich von mir getrennt und mir einen fünfzehn Seiten langen Brief geschrieben. Heute hat sie zwei Kinder mit einem anderen.«
»Und was stand drin in diesen fünfzehn Seiten?«
»Dass das mit uns nicht funktioniert.«
»Dafür hat sie fünfzehn Seiten gebraucht?«
»Du kannst die gerne lesen.«
Da hatte Astrid ihn dann doch angesehen und an seine Schulter geboxt.
»Ich will das nicht lesen, ich will, dass du mir das erzählst.«
»Die ganzen fünfzehn Seiten?«
»Du weißt genau, was ich meine!«
»Na bindungsunfähig, verantwortungslos, völlig in sich gekehrt. Das ganze Programm.«
»Was heißt das?«
»Das heißt, dass ich mir jetzt noch ein Glas Wein hole. Möchtest du auch eins?«
Paul nimmt das Klopapier von seinem Schienbein und tupft den schnell hervorquellenden dunkelroten Tropfen Blut ab. Er humpelt zum Waschbecken, daneben hängt Astrids Kulturtasche an einem Haken. Es ist eher ein Kulturfächer, der aus mehreren Taschen besteht. Er ist sich sicher, dass er zwischen ihren Tuben, Cremes und Tabletten auch Pflaster findet, und schon im ersten Fach wird er fündig. Er verklebt den Riss am Schienbein und öffnet dann vorsichtig die Tür zum Zimmer. Ein schmaler Streifen Licht fällt so dort hinein und beleuchtet den Sessel, auf dem seine Sachen liegen, die er nun mühelos greifen und anziehen kann. Das fahle Licht beleuchtet auch Astrids Gesicht. Bis zum Kinn hat sie die Bettdecke hochgezogen und im Schlaf ihre gefalteten Hände unter ihre Wange geschoben. »Wie ein Mädchen sieht sie aus«, denkt Paul und muss unweigerlich daran denken, wie er sie das erste Mal sah.
Vorbei an einer spanischen Wand konnte er sie sehen. Die hatte die Krankenschwester extra zwischen die beiden Betten gestellt, aber das hatte sie nicht besonders gut gemacht, denn Paul brauchte sich nur ein wenig zu strecken, und dann konnte er das Nachbarbett sehen und Astrid auch. Sie hielt die geladenen Elektroden eines Defibrilators in den Händen und redete auf einen Patienten ein.
Mit dem Krankenwagen hatten sie Paul in die Klinik gebracht. Direkt nach seiner Frühsendung im Radio. Er hatte Schmerzen im Arm gehabt, ihm war schwindelig und er spürte einen Druck hinter dem Brustbein. Er stand mit Siggi, seinem Chefredakteur, rauchend in dessen Büro. Als ihm plötzlich die Beine wegsackten. »Paul«, war das Letzte, was er hörte, und auch das nur grotesk verzerrt: »Paoouull.« Er kam ein paar Minuten später wieder zu sich und lag auf Siggis Sofa, und Jessi,
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