Was ist koscher - Jüdischer Glaube
bestimmt, wo Empfi ndlichkeit beginnen darf, wo sie aufzuhören hat? Der, der angreiĞ , oder der, der angegriff en wird?
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Es wäre an der Zeit, dass sich Nichtjuden über solche Fragen endlich einmal Gedanken machen. Gedanken, warum man in Sachen »Juden«, in Sachen »Israel« so gerne zu scheinbar »sicheren Wahrheiten« greiĞ , obwohl man eigentlich keine Ahnung von der Materie hat und dies aus irgendwelchen Gründen nicht zugeben möchte. Nichtwissen macht blind, macht anfällig für Vorurteile, das wissen wir alle. Es wäre für alle Seiten so viel spannender, wenn Nichtwissen einfach nur neugierig machte. Neugierig auf das andere, das Fremde, das Unbekannte. Vielleicht kann dieses Buch dazu ein wenig bei-tragen?
Um dieses traurige Kapitel vielleicht doch noch »typisch jü-
disch« zu beenden, mit einem kleinen Schuss Ironie nämlich, noch eine kleine Anekdote zum Antisemitismus: Itzik ist schon über 70 und muss zu einer Routineunter-suchung zum Arzt. Nach einer eingehenden Anamnese und einem ausführlichen Check-up darf er sich wieder anziehen. Der Arzt betrachtet sich den Ausdruck von Itziks EKG, wendet sich dann an seinen jüdischen Patienten und versucht, den verunsicherten Mann zu beruhigen:
»Keine Sorge, es ist nichts Physisches. Alles in Ordnung.
Sie leiden lediglich unter Paranoia!« »Das kann schon sein«, sagt Itzik seufzend, »aber was soll ich machen? Sie sind trotzdem alle hinter mir her.«
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Wie kann man als Jude in Deutschland leben?
Es gibt kaum eine Frage, die uns Juden in Deutschland häu-fi ger gestellt wurde und wird als diese. Es ist eine verständliche Frage vor dem Hintergrund deutscher Geschichte, es ist eine schwierige Frage, es ist aber auch, zumindest manchmal, eine perfi de Frage. Denn sie meint unterschwellig zuweilen, dass man als Jude in Deutschland nicht nur nicht leben sollte, sondern nicht leben dürĞ e! Wenn diese Frage daher von einem nichtjüdischen Deutschen gestellt wird, dann kommt es sehr auf den Fragenden an, wie ich mich dabei fühle, wie Juden sich dabei fühlen.
Will dieser Mensch wissen, wie es mir hierzulande geht, wie ich als Überlebender des Holocaust mit der Vergangenheit umgehe und damit auch mit diesem Land, diesem Staat? Oder ist die Frage eher bösartig gestellt, so dass ich dahinter den Wunsch vermuten muss, er, der Fragende, wäre froh, wenn es keine Juden in Deutschland gäbe, wenn sie verschwinden würden, selbst wenn der Holocaust dazu der Grund wäre – Hauptsache, Deutschland würde endlich »ju-denrein«.
Ich kenne diese Frage natürlich auch von jüdischer Seite.
Jahrzehntelang waren Juden, die in Deutschland lebten, in der jüdischen Welt verpönt. Juden in Israel und Frankreich, in den USA und England konnten nur selten begreifen, warum Juden sich nach 1945 ausgerechnet im Land der Mörder des eigenen Volkes niederließen. Juden aus Deutschland galten jahrzehntelang als Abschaum, als Menschen, die ihre Geschichte, ihr Schicksal, ihr Volk, vor allem aber ihre ermordeten Verwandten verrieten. Erst 1990 änderte sich diese Haltung von offi
zieller Seite, als der World Jewish Congress sich entschied, seine große Jahreskonferenz in der wiederverein-297
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ten deutschen Hauptstadt abzuhalten. Es war dies eine Ver-beugung vor der miĴ lerweile demokratischen Tradition der alten Bundesrepublik sowie der friedlichen Revolution in der DDR, die schließlich zur Einheit Deutschlands geführt hat-te, ohne dass ein einziger Schuss gefallen war. Und es war eine späte, sehr späte Anerkennung des Rechts der Juden, in Deutschland zu leben.
Zugegeben, es gab zu diesem Zeitpunkt natürlich schon so etwas wie die »normative KraĞ des Faktischen«, die mit ausschlaggebend war für das Zugeständnis des WJC. Die jü-
dische GemeinschaĞ in Deutschland existierte bereits in der driĴ en Generation. An dieser Tatsache gab es nichts mehr zu rüĴ eln. Und als dann im Zuge von Glasnost und Perestroika durch die Immigration Zehntausender sowjetischer Juden in den 90er-Jahren die jüdische GemeinschaĞ in Deutschland zur driĴ größten Westeuropas heranwuchs, wurde die Existenz von Juden im »Land der Mörder« nicht mehr weiter hin-terfragt.
Israel befi ndet sich mit Deutschland längst in einer ganz besonderen Beziehung. Deutschland ist nach den USA der zweitgrößte Handelspartner
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