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Was kostet die Welt

Titel: Was kostet die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nagel
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können. Der Chor der Verdammten. Eine Polonaise des Grauens . Und Erwin fasst der Heidi von hinten an die schweren Schultern.
    Und dann ist es so weit. Ein Impuls. Der letzte Tropfen auf dem Fass meiner Selbstbeherrschung. Die ganze Zeit habe ich mich zurückgehalten. Jetzt kann ich nicht mehr. Ich sage es.
    Â»Ach ja?«, sage ich. »Dann möchte ich bloß wissen, was das letzte Nacht war.«
    Â»Wieso, was war denn letzte Nacht?«, sagt Flo.
    Â»Ach, egal«, sage ich und gebe ihm eine wegwerfende Handbewegung statt einer Antwort. Ich drehe mich um und gehe. Flo folgt mir.

    Â»Was ist egal?«, ruft er. Bei der ersten Silbe überschlägt sich seine Stimme ganz leicht. Sein Ton verliert die Sanftheit. Endlich. »Ey, ich rede mit dir!«
    Ich bleibe stehen. Flo baut sich vor mir auf. Seine Augen haben sich zu Schlitzen verengt, die Zunge flippt zwischen den Mundwinkeln hin und her wie ein Fisch auf dem Trockenen. Ein Gewitter zieht auf. Ich heiße es willkommen. Es soll nur nicht zu schnell vorüberziehen, sondern sich bitte genau jetzt und genau hier über uns entladen, mit Blitz und Donner und allem Drum und Dran.
    Â 
    Meine Eltern haben am liebsten morgens gestritten. Schön scheiße den Tag anfangen. Die Sonntage waren am schlimmsten. Sie waren dabei zwar aggressiv, aber trotzdem sehr leise. Sie wurden auch nie ausfallend. Im Gegenteil, bei Streits wurde ihr Tonfall immer förmlicher. Meine Mutter versuchte immer, vernünftig zu argumentieren, woraufhin mein Vater begann, sie zu siezen. »Ach, so hat Madame sich das gedacht!«, sagte er dann. »Kann ich sonst noch was für Sie tun, gnädige Frau?«
    Statt Schimpfwörtern benutzte er Hohn und Spott, statt Gewalt Ironie und Sarkasmus, statt zu schreien, wurde gefaucht. Und wenn er gar nicht mehr weiterwusste, fing er an, sie nachzuäffen. In physischer Hinsicht war das Türenknallen der einzige Luxus, den er sich gönnte.
    Manchmal knallte mein Vater die Tür hinter sich zu und ging danach ganz ruhig aus dem Haus, als wäre nichts gewesen. Die Nachbarn sollten bloß nicht mitbekommen, dass bei den Meissners irgendetwas nicht in Ordnung war.
    Einmal sah ich, wie er wutentbrannt das Haus verließ und eine Minute später mit Herrn Hübner von nebenan am Wagen stand und scherzte. Ein anderes Mal stand Herr Hübner bei uns
in der Wohnungstür und bot meiner Mutter an, uns Gummilippen in den Türfalz einzubauen, damit sie nicht mehr so knallte. Er meinte das ernst. Er dachte wohl wirklich, bei uns würde die Tür vom Durchzug so krachend zuschlagen. Herr Hübner hatte keine Ahnung, was für ein kaputter Haufen da neben ihm hauste. Woher auch. Man hörte ja nie irgendwelchen Streit, nach außen hin waren wir immer die Vorzeigefamilie.
    Bei unserem Auszug gab es ein paar hässliche Szenen, Schubsen und Spucken, ein paar Handgreiflichkeiten, davor jedoch verliefen die Streitereien immer im unteren Dezibelbereich. Zischlaute, geflüsterte Codes, ein lautloser Krieg. Zisch zisch zisch. Man wusste nie genau, worum es ging, nur dass man jetzt besser nichts Unpassendes sagte. Am besten, man sagte gar nichts und verkroch sich unauffällig in irgendeine Ecke. Gepolsterter Hass, leiser als der Fernseher. Das Nasehochziehen meiner Mutter als Symbol stummer Erniedrigung.
    Dann wurde alles immer ruhiger und schwerer, bis nur noch geschwiegen wurde und man sich gar nicht mehr zu atmen traute. Die Luft war zum Schneiden, schwer und bleiern lag sie auf allem und drückte einen zu Boden. Ich habe den Ausdruck »dicke Luft« sehr früh verstanden.
    Dicke Luft hinter dicken Wänden. Dicke Augen hinter dicken Türen. Dicke Brocken Hass, schnell runterschlucken, aussitzen, abwarten.
    Â 
    Ich habe genug runtergeschluckt. Ich habe genug ausgesessen, und ich habe genug abgewartet.
    Â»Frag sie doch einfach. Ihr seid doch so offen miteinander. Ihr habt doch keine Geheimnisse. Ihr teilt doch alles, oder etwa nicht?«

    Diesmal lächle ich. Flo starrt mich an, als würde ich plötzlich chinesisch sprechen. Er hat’s immer noch nicht gerafft. Ich muss noch einen draufsetzen.
    Â»Da fällt mir ein, hast du die Sommersprossen auf ihrem Rücken eigentlich schon mal gezählt? Müssten ja in die Zehntausende gehen, oder was schätzt du?«
    Ich kann genau den Moment sehen, in dem er versteht. Seine Gesichtszüge entgleiten ihm, alles zerfällt zu einem Ausdruck

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