Was macht der Fisch in meinem Ohr
etwas anderes sagen wollte, und das stimmt nun wirklich – nämlich dass sie ihre Sprachkenntnisse nur verbessern, wenn sie mehr Französisch lesen. Der Lehrer möchte sie zu größerem Eifer anspornen und nicht Wahrheiten über Übersetzungen verkünden.
Eines Tages machen Studenten ihren Abschluss und finden Jobs, und schon bald beginnen einige von ihnen, Buchkritiken zu schreiben. Müssen sie sich dabei einmal zu einem fremdsprachigen literarischen Werk äußern, das ins Deutsche übersetzt worden ist, und fällt ihnen nichts ein, plappern sie vielleicht nach, was sie zum ersten Mal in der Schule gehört haben. Doch wie bei allem, was Menschen sagen und schreiben, verändert auch der Spruch von der Übersetzung, die kein Ersatz für das Original ist, sein Gewicht, wenn er in einem anderen Kontext geäußert wird.
In dem neuen Kontext bedeutet er, der Verfasser der Buchkritik kennt das jeweilige Original so gut, dass er mit Fug und Recht die Einschätzung treffen kann, dass diese Übersetzung kein Ersatz dafür ist. Ob der Rezensent das Original des Werks wirklich gelesen hat oder nicht: Seine Behauptung macht ihn – so oder so – beweispflichtig.
Im Kern geht es bei der geläufigen Redensart offenkundig um die Bedeutung des Worts »Ersatz«. Sagte ich zum Beispiel: »Instantkaffee ist kein Ersatz für Espresso, der aus frisch gemahlenen Bohnen gemacht wird«, läge ich falsch, und zwar deshalb, weil es ja gerade der Zweck von Instantkaffee ist, als Ersatz für das Getränk mit der aufwendigeren Zubereitung zu dienen; ich läge aber auch richtig, sofern »Ersatz« »dasselbe wie« bedeuten soll oder »genauso gut wie« oder »gleichwertig«. Instantkaffee ist eindeutig nicht dasselbe wie Espresso; viele Kaffeetrinker halten ihn keineswegs für so gut wie Espresso, und da Vorlieben bei Kaffee eine Sache des persönlichen Geschmacks sind, ist es nicht unrealistisch, pulverisierten Kaffee und Espresso nicht als gleichwertig zu betrachten. Über Kaffee äußern wir uns ja alle häufig so unzweideutig. So einfach liegen die Dinge bei Übersetzungen aber nicht.
Wer erklärt, Übersetzungen seien kein Ersatz für das Original, teilt implizit mit, er sei imstande, das einzig Wahre zu erkennen und zu würdigen, soll heißen, ein Originalwerk von einer Übersetzung zu unterscheiden. Ohne diese Fähigkeit könnte derjenige schließlich nicht behaupten, was er behauptet. Genau wie die Unfähigkeit, zwischen zwei Sorten Kaffee zu unterscheiden, einem jede Möglichkeit nähme, sie zu vergleichen, ist die Fähigkeit, zwischen »Übersetzung« und »Original« zu unterscheiden, die Grundvoraussetzung für jeden, der behauptet, eines davon sei nicht dasselbe oder genauso gut wie das andere oder sein Äquivalent.
In der Praxis schauen wir auf die Titelseite oder ins Impressum eines Buchs oder zur Verfasserangabe am Ende eines Artikels, um zu erfahren, ob wir eine Übersetzung lesen oder nicht. Wenn solche Angaben aber fehlen, ist es dann wirklich ihr sprachlicher und ihr literarischer Geschmack, der Leser befähigt zu erkennen, ob ein Text ein »Original« oder »übersetzt« ist? Keineswegs. Unzählige Male haben Autoren Originale für Übersetzungen und Übersetzungen für Originale ausgegeben und sind über Wochen, Monate, Jahre, ja sogar Jahrhunderte damit davongekommen.
Fingal, an Ancient Epic Poem in Six Books fand bei seinem Erscheinen 1762 großen Anklang. Über viele Jahrzehnte galt es als Werk, das wertvolle Einblicke in die antike Kultur der ersten Siedler an den äußersten nordwestlichen Rändern Europas eröffnete. Gestalten, so bedeutend wie Napoleon und so gelehrt wie der Philosoph Herder, waren hingerissen von der authentischen Volksdichtung des »gälischen Barden«. Und doch lagen sie falsch. Die Gesänge Ossians waren keineswegs das Werk keltischer Sänger, sondern ein englisches Original, verfasst von einem zweitrangigen Dichter namens James Macpherson.
So lange konnte Horace Walpole sich nicht halten. In der Einleitung zur Erstausgabe von The Castle of Otranto (1764; Das Schloss von Otranto ) behauptete er, sein Roman sei lediglich die Übersetzung eines italienischen Werks aus dem Jahr 1529, das er zugänglich zu machen versprach, sollte sein Werk Erfolg haben. Den hatte es – das Buch wurde sogar ein Bestseller und begründete ein ganzes literarisches Genre, den Schauerroman. Eine zweite Auflage musste her, und der Autor musste sich offenbaren. Er konnte das italienische Original nicht beibringen,
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