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Was mit Rose geschah

Was mit Rose geschah

Titel: Was mit Rose geschah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stef Penney
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Spiegel, wie Frauen ihn in der Handtasche haben, der Rücken ist aus Emaille mit blauen Blumen. Er ist wirklich hübsch. Als sie das Geschenk auspackt, lächelt sie sofort und küsst Christo. Er grinst glücklich. Natürlich weiß sie, dass er es nicht gekauft hat. Vielleicht denkt sie, Ivo hätte es besorgt, obwohl sie es eigentlich besser wissen müsste. Großonkel sagt immer wieder: »Mädchen, du siehst keinen Tag älter aus als einundzwanzig«, worüber sie lachen muss (weil es nicht stimmt), aber sie freut sich trotzdem. Selbst Ivo lächelt und wünscht ihr alles Gute. Ausnahmsweise sind alle einigermaßen gut gelaunt.
    Trotzdem habe ich das Gefühl, dass wir den Atem anhalten. Wir müssen uns so gut wie möglich benehmen, weil wir auf ein Wunder warten, da sollten wir besser nichts Falsches tun. Ich schaue immer wieder zu Christo, ob sich etwas verändert hat. Die anderen machen es sicher genauso. Ich weiß, es ist erst ein paar Tage her, dass er im heiligen Wasser gebadet hat, aber trotzdem mache ich mir Gedanken. Manche Wunder passieren ja sofort – Leute stehen aus ihrem Rollstuhl auf und gehen, Blinde können plötzlich wieder sehen, so in der Art. Doch bisher hat sich anscheinend nichts verändert. Wir müssen wohl geduldig sein. Entweder das, oder es war alles ein Haufen Scheiße, aber daran möchte ich gar nicht denken.
    Je weiter wir uns von Lourdes entfernen, desto lächerlicher kommt mir alles vor. Die Plastikstatuen sind aus Taiwan (das habe ich inzwischen gesehen); die Menge alter, gebrechlicher und kranker Leute; die Helfer mit ihren eifrigen Blicken und dem freundlichen Lächeln. Die Colaflaschen voll mit heiligem Leitungswasser. Ich weiß nicht. Natürlich geben wir Christo jeden Tag heiliges Wasser zu trinken, es scheint ihm zu schmecken. Ich frage mich, ob er begreift, wozu das alles gut sein soll – er hat schon länger nicht mehr gesprochen. Ich weiß nicht, was er denkt; vielleicht glaubt er daran – weil er sechs Jahre ist und wir ihm sagen, dass das heilige Wasser ihm hilft, und weil die Erwachsenen sicher recht haben. Untereinander sprechen wir allerdings nicht über Wunder und solches Zeug. Es ist wie ein Theaterstück, das wir für einen Sechsjährigen aufführen. Ein Theaterstück mit dilettantischen, verzweifelten Schauspielern.
    Außer Großmutters Geburtstag passiert noch etwas Wichtiges auf der Rückfahrt. Ivo und Großonkel fahren mit uns zu einem Dorf namens Saint Jean-sur-Soundso. Es ist ein Umweg, und wir müssen auf ziemlich engen Straßen fahren. Das Dorf liegt etwa auf der Hälfte der Strecke – irgendwo mitten in Frankreich, hier ist es bergiger als auf dem Hinweg. Wilde Landschaft – trostlos, nicht warm und grün wie der Süden. Großmutter und ich folgen ihnen, als sie aus dem kleinen Dorf hinausfahren und anhalten. Sie ist genervt, weil diese Strecke länger dauert und sie die Nase voll hat vom Ausland. Hier ist es nicht schön wie in vielen anderen Orten, durch die wir gekommen sind, und ich verstehe nicht, weshalb jemand hier anhalten sollte. Sie seufzt und zündet sich eine Zigarette an.
    »Wir könnten schon hinter Paris sein.«
    Ich steige aus und gehe zu Großonkels Wohnwagen. Ivo hebt Christo heraus.
    »Kannst du ihn mal nehmen? – Du gehst zu JJ, okay?«
    Ich setze Christo auf meine Hüfte.
    »Warum haben wir hier angehalten?«
    Ivo wirft mir einen Blick zu, bei dem mir das Fragen vergeht. Ich gehe ein Stück weg.
    »Komm, wir setzen uns da drüben ins Gras.«
    Ivo geht in den Wohnwagen zu seinem Vater und schließt die Tür. Vielleicht haben sie wieder Streit – das kommt in letzter Zeit dauernd vor. Großmutter kommt zu uns herüber. Das Gras ist nass vom Regen, hier können wir uns nicht hinsetzen.
    »Was machen sie?«, fragt sie.
    »Keine Ahnung.«
    »Verdammt. Ich will nach Hause, du nicht? Zu deiner Mama?«
    »Klar.«
    Ich vermisse Mama, ansonsten würde ich aber lieber nicht nach Hause fahren, da warten nur das normale langweilige Leben und die Schule und die Sorgen wegen der Prüfungen im nächsten Jahr.
    »Es wäre toll, in Frankreich zu wohnen.«
    Eigentlich wollte ich das nicht sagen, aber es kommt einfach so heraus.
    Großmutter nimmt die Kippe aus dem Mund und starrt mich an, als hätte ich gesagt, es wäre toll, zwei Köpfe zu haben.
    »Hier wohnen? Und was dann?«
    »Manche Leute machen das. Hierherziehen. Man muss nur Französisch lernen.«
    »Ach ja?«
    Sie grinst und schaut mich auf diese nervige Art an, die Erwachsene an sich haben –

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