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Was mit Rose geschah

Was mit Rose geschah

Titel: Was mit Rose geschah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stef Penney
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Gefühle. Greifbar, rational, erklärbar; so muss man denken.
    Die Gefahr besteht freilich darin, in seiner Hypothese stecken zu bleiben. Man muss flexibel sein. Zugeben, dass man sich täuschen kann. Und manchmal hat man recht und irrt dennoch. Wie bei Georgia Millington.
    Auf dem Anrufbeantworter findet sich zu meiner Überraschung auch eine Nachricht von Vanessa. Sie fragt beiläufig, ob ich abends vielleicht ins Kino gehen möchte. Vermutlich hat Madeleine ihr meine Nummer gegeben. Ich seufze, obwohl sie ganz in Ordnung war, und die Nacht mit ihr auch. Vielleicht möchte ich sogar mal mit ihr ins Kino gehen, warum auch nicht? Ich bin Single; frei und ungebunden. Ich kann tun, was immer ich möchte. Ich notiere ihre Nummer auf einem Zettel, den ich in dem Chaos neben dem Telefon verstecke. Dann lösche ich die Nachricht. Keine Nachricht, kein Beweis, dass sie jemals angerufen hat.
    Dass ich mir danach einen steifen Wodka Tonic einschenke und im dämmrigen Wohnzimmer sitze und trinke, während sich die Dunkelheit hereinstiehlt und mich wie eine Decke umhüllt, heißt nicht etwa, dass ich an die Frau denke, mit der ich technisch gesehen noch immer verheiratet bin. Im Grunde denke ich an gar nichts. Um zu beweisen, wie rational ich bin, beschließe ich, morgen Vanessa anzurufen. Nachdem ich das beschlossen habe, ist es egal, was ich heute Abend mache oder denke, denn morgen werde ich mich wieder normal benehmen.
    Alkohol ist schon prima. Ohne ihn hätte ich mich umgebracht. Was das angeht, wird Hen mir zustimmen, obwohl er seit Jahren trocken ist.
    Als wir uns kennenlernten, war Hen Börsenmakler. Ich hasste ihn auf den ersten Blick. Er war alles, was ich nicht war – privilegiert, gebildet, selbstbewusst (zumindest nach außen hin) und hatte diese gedehnte, durchdringende Sprechweise, die sich über Ballsäle und heidebedeckte Hügel erhebt. Und da war ich – ein Zigeunermischling, der es mit Müh und Not zu einem BWL-Diplom gebracht hatte. Ich hatte einen Auftrag, untersuchte Unregelmäßigkeiten bei einer kleinen Firma in der City. Ich hatte ein Gespür für Zahlen, also schob Eddie mir in der Regel solche Aufträge zu, selbst nachdem ich nicht mehr für ihn arbeitete. Meine Ermittlungen konzentrierten sich rasch auf Henry Hamilton-Price, und mir wurde klar, worin sein Dilemma bestand: Er kämpfte mit einem Alkoholproblem und musste eine vornehme Frau und zwei kleine Töchter unterhalten. Er hatte sich Firmengelder »geliehen«, und die Sache drohte ans Licht zu kommen. Ich hatte ihn nur selten observiert und war daher überrascht, als Hen mich bei einem meiner Undercover-Besuche in der Firma im Büro des Vizepräsidenten in die Ecke drängte.
    »Ich weiß, wer Sie sind und was Sie hier machen«, zischte er. »Sie arbeiten für eine Detektei.«
    »Es ist mir nicht gestattet, über meine Aktivitäten zu sprechen«, verkündete ich. Diesen Satz habe ich immer geliebt.
    »Bitte …«
    Da wurde mir klar, dass er mich nicht bedrohte, sondern anflehte.
    Ich war es nicht gewöhnt, dass mich jemand anbettelte, der gesellschaftlich so weit über mir stand. Es war wie ein Rausch. Er sagte, er könne das Geld bald zurückzahlen; wenn er hingegen den Job verlöre, würde ihn seine Frau verlassen und die Kinder mitnehmen. Nachdem er mich eine Minute lang eindringlich angeschaut hatte – ich glaube nicht, dass ich währenddessenauch nur einen Ton von mir gab –, ging ein Ruck durch seinen Körper. »Es tut mir leid. Sie müssen natürlich tun, was Sie für richtig halten.«
    Er wandte sich abrupt um und ging davon. Ich blieb verblüfft zurück. Er hatte mich absolut überzeugt. Ich zweifelte keine Sekunde an seiner Notlage. Trotzdem ließ ich ihn hochgehen. Er wurde natürlich gefeuert, aber die Firma erstattete keine Anzeige, was mehr als anständig war. Und Madeleine hielt zu ihm, was niemanden mehr überraschte als ihn selbst. Das muss ich ihr lassen.
    Eine Woche später suchte ich ihn auf und bot ihm einen Job an, weil er mir auf die Schliche gekommen war. Er war tief gerührt, weil ihm jemand trotz seiner Verfehlungen Vertrauen schenkte. Ich für meinen Teil war gerührt, weil er ganz und gar nicht versnobt war.
    Er hat mich nie spüren lassen, dass er etwas Besseres sein könnte als ich; im Gegenteil, er hat mir immer den Eindruck vermittelt, dass er mich bewundert – für meine Unabhängigkeit, mein professionelles Geschick und, früher jedenfalls, meine Ehe mit Jen. Er sagt, er habe uns immer für das perfekte Paar

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