Was mit Rose geschah
würden wir zusammenziehen, natürlich würden wir eines Tages einfach losgehen und heiraten, ohne es jemandem zu sagen – zum großen Missfallen vor allem ihrer Familie. Also schlichen wir zum Standesamt, wobei wir wie Teenager kicherten. Wir zweifelten nie an uns. Wir lebten in einer Zweierrepublik, sprachen unsere eigene Sprache und stellten eigene Regeln auf. Was kann man sonst noch sagen? Über Glück zu reden, ist langweilig.
Vielleicht war alles zu perfekt. Vielleicht waren wir zu sehr auf einander bezogen, hatten es zu bequem. Ich weiß es nicht, wirklich nicht. Ich habe weiß Gott oft genug darüber nachgedacht – wie kann der Mensch, dem man mehr vertraut als sich selbst, einen betrügen? Ich habe keine Ahnung. Ich weiß, es ist ironisch: Der Privatdetektiv, der jede Woche Ehebrecher ertappt, hatte keine Ahnung, dass seine eigene Frau ihn betrog.
Es ist vollkommen dunkel im Wohnzimmer. Diese Tageszeit nennen die Franzosen wohl entre le chien et le loup – zwischen Hund und Wolf. Zuerst geht die Sonne unter, und dann, wenn die Dämmerung zunimmt und der Himmel einen ganz bestimmten Blauton annimmt, der noch nicht schwarz ist, zieht sich der Hund zurück und der Wolf wartet in den Kulissen oder biegt gerade um die Ecke. Die Gestalt im Schatten kann Freund oder Feind sein. Ich frage mich, wie lange dieser Augenblick, der keinem gehört, wohl dauert. Ich schaue aus dem Fenster, um es herauszufinden, betrachte den Baum, der das Viereck fast ausfüllt. Es ist eine Esche mit kahlen Ästen, die den Himmel in unregelmäßige Puzzleteile zerschneiden. Die Teile verlieren langsam ihre Farbe. Erscheint jetzt der Wolf? Wann verschwimmen Himmel und Ast?
Genau … jetzt ?
Habe ich es verpasst?
Als ich sie neulich abends sah, musste ich den Kopf zwischen die Knie stecken, bis das Gefühl, dass sich mein Innerstes nach außen gekehrt hatte, verschwand. Ich weiß nicht, weshalb ich überhaupt hingefahren bin – zu dem Haus, das wir zusammen gekauft und miteinander geteilt hatten.
Ich nehme an, ich sollte nach vorn blicken, wie es so schön heißt. Aber ich bin ein Gewohnheitstier. Ich habe mich daran gewöhnt, sie zu lieben. Und außerdem, nach vorn blicken? Was soll da sein?
11
JJ
Ich habe mich entschlossen, nach Frankreich zu ziehen, wenn ich alt genug bin. Ich frage mich, ob ich Mama dazu überreden kann, mit mir hier zu wohnen. Natürlich muss ich dann richtig Französisch lernen – wenn ich etwas fragen will, merke ich, dass ich es bei weitem nicht so gut kann, wie ich dachte. Ich wüsste wirklich gern, ob unsere Französischlehrerin schon mal in Frankreich war – wenn sie redet, hört es sich total anders an, als wenn die Franzosen sprechen. Das sollte ihr mal jemand sagen.
Am Tag, bevor wir wieder im langweiligen alten England ankommen, hat Großmutter Geburtstag. Sie wird achtundfünfzig. Einerseits klingt das uralt, aber das ist es wohl nicht, jedenfalls nicht verglichen mit all den extrem alten Leuten, die in Lourdes herumwackeln. Ich habe ihr dort ein Geschenk besorgt. Ich hatte keine Ahnung, was ich ihr kaufen sollte, also ging ich das Risiko ein, dass es etwas war, mit dem ich völlig danebenlag. Dann aber stellte sich heraus, dass es in Lourdes jede Menge Geschenkeläden gibt. Die meisten verkaufen natürlich religiösen Kram: unzählige Statuen von Maria und der Grotte und der heiligen Bernadette (Bernadette ist immer kleiner und billiger als Maria). In einem Laden entdeckte Großmutter eine Kulturtasche mit einem Bild der Grotte. Darauf stand »(H)eilig gereinigt!« Drin waren ein Schwamm, Schaumbad, Seife und so weiter, und alle hatten lustige Namen wie »Glanz und Gloria« und »Sei kein schmutziger Sünder!«. Großmutter konnte gar nicht aufhören zu lachen. Es war, als wollten sie damit sagen:»Wir sind Christen und haben trotzdem Humor!« Also bin ich später noch mal hingegangen und habe die Tasche gekauft. Für Mama habe ich ein Emaille-Armband und eine Tüte Pfefferminzbonbons besorgt, die mit heiligem Wasser hergestellt werden (gegen satanischen Atem?).
Als Großmutter ihr Geschenk auspackt – ich habe im Laden so lange gestikuliert, bis sie mir alles schön eingewickelt haben –, runzelt sie zuerst die Stirn, lächelt dann und umarmt mich. Ich weiß nicht, ob es ihr wirklich gefällt. Im Geschäft fand sie die Tasche toll, jetzt bin ich mir nicht mehr so sicher. Aber sonst hat niemand etwas für sie außer Christo, und das auch nur, weil ich es ihm gekauft habe – einen kleinen
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