Was Oma und Opa noch wussten
waltigen Strukturwandel durchgemacht. Den klassischen Bauern, der Gänse, Hühner, Kühe und Schweine hält und auch Getreide und Gemüse anbaut, den gibt es nun nicht mehr. Bauern sind heute Land- wirtschaftsunternehmen, die auf Schweinehaltung, Rinderhaltung oder Getreideanbau spezialisiert sind. Das hat verheerende Folgen in Hinblick auf Abhängigkeiten: Unsere Landwirtschaftsbetriebe sind heute extrem von Vorleistungen abhängig. Wird die Einfuhr von Fut- termitteln auch nur wenige Tage unterbrochen, dann geht die Erzeu- gung sofort zurück. Im Klartext: Der Bauer, der beispielsweise in Massentierhaltung Geflügel hält, baut das Futter für die Tiere nicht selbst an. Wird die Lieferkette der ausländischen Zulieferer länger unterbrochen, dann verhungern die Tiere. Ein Städter kann sich heu- te auch kaum vorstellen, was passiert, wenn in der Landwirtschaft Dünger oder Pflanzenschutzmittel fehlen oder wenn es keine Ersatz- teile für Maschinen gibt oder der nötige Treibstoff fehlt. Unser ganzes System der Lebensmittelversorgung ist in Krisenzeiten schnell ext- rem störanfällig. Schon vereiste oder verschneite Straßen können Ortschaften von der Lebensmittelversorgung abschneiden, Hoch- wasser oder Erdbeben unter Umständen sogar eine ganze Region.
Bei der Lebensmittelversorgung spielt in Deutschland (vor allem in städtischen Gebieten) die Selbstversorgung kaum noch eine Rolle. Auch bei der Speisenzubereitung setzen die Verbraucher mehr und mehr auf Fertigprodukte, verbunden mit der Nutzung von Mikrowel- le und Tiefkühltruhe. Über den laufenden tagesaktuellen Bedarf hin- aus verfügen die Haushalte kaum noch über Vorräte. Eine konkrete gesetzliche Vorsorgepflicht für privatwirtschaftliche Unternehmen der Lebensmittelversorgung gibt es nicht. Handelsriesen wie Rewe, Lidl, Aldi, Netto oder Tengelmann können Kunden beliefern - oder auch nicht. Sobald es eine ernste Krise gibt, werden die Medien dar- über berichten. Und schon in dieser »Medienphase« wird es sofort Hamsterkäufe geben. Bleibt - aus welchen Gründen auch immer der Nachschub in den Supermärkten für einige Tage aus, dann bricht Panik aus - und die Hamsterkäufe werden schnell zur Epidemie, die keiner mehr aufhalten kann.
Denken wir jetzt nur einen Moment einmal das »Undenkbare«: Wie sicher ist unsere Lebensmittelversorgung in Deutschland im Ernstfall? Am 30. Juni 2011, wenige Wochen nach der japanischen Reaktorkata- strophe in Fukushima, gab es dazu einen Vortrag von Dr. Helmut Grimm, Sonderbeauftragter der Tengelmann-Gruppe. Er wies die Zu- hörer zunächst daraufhin, wie wenig Menschen in Deutschland noch selbst Lebensmittel produzieren. Aus den früheren Hausgärten sind Ziergärten geworden und die meisten Menschen haben allenfalls noch einen Balkon. Tiefkühltruhe und Mikrowelle bestimmen das Le- ben von immer mehr Haushalten. Allein von 1990 bis 2010 stieg der Absatz von Tiefkühlkost (ohne Speiseeis) nach Grimms Angaben um
97 Prozent pro Bundesbürger auf jährlich 40,2 Kilogramm. Kaum ein Haushalt hat noch Platz für Vorräte, könnte selbst im Krisenfall nichts mehr einlagern, weil man darauf bei der Wohnungsgröße nicht vorbe- reitet ist. Und der komplette tägliche Bedarf an Lebensmitteln wird fast nur noch über den Lebensmittelhandel gedeckt.
Allein ein einziger Lebensmittelhändler wie Plus/Netto hat in Deutschland 2800 Filialen und 29.000 Mitarbeiter. Pro Regionallager sind täglich 170 Lastkraftwagen unterwegs, um den Nachschub zu si- chern. In den Regalen der Zentrallager reicht der Nachschub für die Filialen zwischen einem und 3,5 Tagen. Und die Filialen sind so be- stückt, dass die Regale dort bei normalem Kaufverhalten - je nach Produkt - einen bis maximal 4,5 Tage ein Angebot beinhalten. Im Klartext: Der Nachschub muss Tag für Tag funktionieren, sonst fin- det der Konsument schon nach 24 Stunden die ersten leeren Regale vor. Und das ohne Hamsterkäufe in ganz normalen Zeiten. Ein Le- bensmitteldiscounter wie Plus/Netto versorgt täglich 2,6 Millionen Menschen. Wie auch jeder andere Lebensmittelhändler ist das Unter- nehmen völlig abhängig von der funktionierenden Treibstoff- und Stromversorgung. Deren Ausfall würde nach Angaben von Grimm schnell zu Versorgungsengpässen führen. »Wie sicher ist unsere Er- nährungsvorsorge«? lautete die Frage am Ende eines spannenden Vortrags vor Fachleuten an Grimm. Und er antwortete vielsagend: »Aus Sicht der Bevölkerung ist sie sicher«.
Nun
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