Was Oma und Opa noch wussten
unterliegt aber der Lebensmitteleinzelhandel in Deutschland einem fortschreitenden Wandel. Die Zahl der Einzelhandelsgeschäfte sinkt beständig. Und es gibt bei den Anbietern zugleich eine immer stärkere Konzentration auf einige wenige Großkonzerne. Seit dem Aufkommen neuer Vertriebsformen wie immer größeren Super- märkten (so bedeutet das Motto von real »Einmal hin - alles drin«), Einkaufszentren oder Discountern und den veränderten Lebens- und Essgewohnheiten der Verbraucher steigen auch die Ansprüche der Kunden, was Frische und Qualität der Produkte betrifft. Gleich- zeitig wollen die Handelsunternehmen die Lagerkosten senken. Das führt zu gewaltigen Problemen nicht nur bei der Gestaltung der Lo- gistikprozesse für temperaturgeführte Lebensmittel (etwa Kühlware). Ein Beispiel: Wenn Sie als Kunde einen Erdbeerjoghurt eines be- kannten Stuttgarter Herstellers kaufen, dann haben die Produktbe- standteile bis zu Ihrem Kauf schon 7695 Kilometer zurückgelegt. Sie können das bei einem Glas Erdbeerjoghurt nicht glauben? Die Wege eines solchen Joghurts sind weit und verschlungen: Die Erdbeeren kommen aus Polen, die Pappe für die Umverpackung der Gläser von der Nordseeküste und die Folie auf dem Deckel aus Frankreich. Bis ein Glas Fruchtjoghurt in einer Kühltheke steht, sind seine Bestand- teile und die Verpackung schon tausende von Kilometern im Lkw über Autobahnen, Landstraßen und durch Innenstädte gerollt. Alles »just in time« - bedarfsgerecht auf den Zeitpunkt genau vorherbe- rechnet. Wie ein Schnittbogen sehen die Verbindungslinien zwischen Zulieferern in Europa und einem Stuttgarter Hersteller von Erdbeer- joghurt aus. Die polnischen Erdbeeren werden in Aachen verarbeitet und kommen dann als Fruchtzubereitung ins Stuttgarter Werk. Nachfolgend eine Auflistung, welche Strecken die einzelnen Bestand- teile der Verkaufsverpackung bis zur Produktion schon zurückgelegt haben: Milch: 36 Kilometer, Fruchtzubereitung: 1246 Kilometer, Jo- ghurtkulturen: 920 Kilometer, Zucker: 107 Kilometer, Glas: 746 Kilo- meter, Alu-Platine: 864 Kilometer, Etikett: 948 Kilometer, Steige: 402 Kilometer, Zwischenlage: 647 Kilometer, Stretchfolie: 406 Kilometer, Leim (Etiketten): 639 Kilometer, Leim (Steigen): 734 Kilometer. Das macht zusammen 7695 Kilometer. Ganz nebenbei sei erwähnt, dass solche Produkte erstaunlicherweise auch noch prämiert werden und beispielsweise einen »Umweltengel« bekommen.
Seit 2010 hat der Online-Händler Am azon die größte Auswahl an Le- bensmitteln, die es in Deutschland im Internet zu kaufen gibt. Es werden dort mehr als 35.000 Produkte von Gemüse, Fleisch und Fisch über Backwaren bis hin zu Delikatessen aus verschiedenen Ländern zur Auswahl angeboten, die »just in time« zum Kunden ge- liefert werden. Wer das unterstützt, der wird zu einem Kunden, der in einer Krisensituation ganz sicher hilflos auf die leeren Internet-Rega- le starren wird.
Wie perfekt (und anfällig für Störungen) dieses System inzwischen ist, zeigt die »just-in-time«-Produktion von Lebendtieren für unsere Lebensmittelindustrie. Wo früher Geflügel oder Schweine auf dem Bauernhof artgerecht in Ruhe groß gezogen wurden, da gibt es heute automatisierte Mästereien. In einer dem Autor vorliegenden Anlei- tung für die »just-in-time«-Schweinemast heißt es: »Ebenso wie in der Industrie wird die Umsetzung dieses Konzeptes in der Schweine- mast erst durch die großen technologischen Fortschritte der Schweinehaltung möglich. Die Ansprüche an die Logistik sind erheb lich, dies erfordert ein für den technischen Bereich erhöhtes Investi- tionsvolumen, das die effizientere und letztendlich kostensparendere Produktion erst ermöglicht. Der Stall muss nach den Voraussetzun- gen dieses Konzeptes erstellt oder entsprechend umgerüstet sein. Der Betriebsleiter muss mit dem Inhalt des Konzeptes vertraut sein und seine überwachende, kontrollierende Funktion permanent ausüben.« Welcher Käufer von Schweinefleisch weiß denn heute, dass die Mast- betriebe noch vor dem Kauf der einzelnen Ferkel schon die Stunde kennen, in denen diese geschlachtet werden? Die Produzenten wis- sen sogar noch mehr, sie kennen schon das Schlachtgewicht, das durch eine Sensorfütterung für unsere »just-in-time«-Lebensmittel- gesellschaft optimiert wurde. In dem Bericht heißt es: »Bei der Fütte- rung im eigentlichen Stall wird das >Just in Time<-Konzept häufig schon seit Jahren angewendet. Ein Beispiel hierfür ist das
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