Was soll denn aus ihr werden?
aufnehmen, denn wie viele Mütter, die nicht dazu kommen, ihren Kindern zu leben, werden glücklich sein, diese in so guten Händen zu wissen.«
Dori hatte mit Verwunderung bis hierher zugehört, ihre innere Erregtheit schien sich durch die Rede nicht gelegt zu haben. Sie war aufgesprungen. »Sie haben recht, Fräulein Smele«, sagte sie mit funkelnden Augen, »ich bin zu einfältig, die Verhältnisse zu verstehen, die Sie als ganz gewöhnliche schildern. Ich habe immer geglaubt,wenn ein Mädchen sich mit einem Manne verbindet, so habe es nachher keine nähere Pflicht und auch gar keine größere Freude, als mit ihm und seinen Kindern zu leben; und diesen alles Beste, das sie selbst kennt und besitzt, mitzuteilen, müßte das größte Glück solcher Frauen sein. Warum gehen sie denn in die Ehe ein, wenn sie andere Pflichten höher stellen als diejenigen, die sie doch dem Mann und den Kindern schuldig sind? Sie sind ja frei, andern Pflichten zu leben, die sie vorziehen. Noch lieber will ich so einfältig sein, die Zustände, die Sie schildern, nicht zu verstehen, als darin zu leben und sie mitzumachen. Und nun will ich nach den Kindern sehen, sie könnten unruhig werden so in der ersten Nacht an fremdem Ort.«
Dori verließ rasch das Zimmer.
»Das gute Kind«, sagte Fräulein Smele mit einem gütigen Lächeln. »Sie kennt nichts von dem Leben der großen Welt. Wie könnte sie verstehen, welch einen Wert eine Erscheinung, wie unsere Dame ist, für die Gesellschaft hat, wie sie diese hebt, wie veredelnd sie auf die Männer wirkt. Es ist doch wohl eine schöne Pflicht, diese Aufgabe auf sich zu nehmen und den so weithin wirkenden Einfluß auszuüben.«
In schüchterner Weise erwiderte Dorothea: »Ich kenne ja vom Leben in den Großstädten nicht mehr als mein Kind und kann nicht mitreden. Ich mußte nur bei Ihren Worten daran denken, wie oft mein seliger Mann mir sagte: ›Das habe ich von meiner Mutter‹, wenn ich wieder erfuhr, wie zartfühlend und rücksichtsvoll für andere er war, so daß ich sagen mußte, so seien gewiß nicht viele Männer. Er hatte auch eine rechte Scheu vor allem Rohen und Gemeinen, da sagte er auch immer: Das hat mir die Mutter eingeprägt; und er meinte, wenn seine Mutter ihm nie gesagt hätte, was gut und schön, und was roh und häßlich ist, so hätte er es durch ihr eigenes Wesen gemerkt. Sie war das Beste, was er kannte, und mein Mann meinte, für jedes kleine Kind sei eine liebevolle und sorgsame Mutter das Beste, das je in sein Lebeneintrete. Der Mann fange in ihrer Hand an, sie bringe die Eindrücke in das weiche Wachs, die nachher nicht mehr vergehen und durch das ganze Leben so wie ein Grundton nachklingen. Er sagte oft, wenn die Mütter doch nur wüßten, wie sie in ihrer Kinderstube die Macht in den Händen haben, ihren Charakter dem Ding aufzudrücken, das draußen das Regiment der Männer heißt. An alle solche Worte habe ich eben denken müssen und ich meine, wenn so bevorzugte Damen, wie die Ihrige ist, das so recht sehen wollten, wie es ist, so müßten sie sich doch sagen, sie haben das Größte und Wichtigste für die ganze Gesellschaft in ihren Kinderstuben in der Hand, und ihren Kindern zu leben, müßte doch für sie soviel genußreicher und beglückender und niemals so aufreibend sein, wie ein solches Leben in der Gesellschaft.«
Fräulein Smele hatte sich erhoben. Ein wenig gnädig sagte sie: »Es liegt ja wirklich in Ihren Anschauungen etwas so Natürliches, daß man fast wünschen möchte, die fortgeschrittene Gesellschaft könnte wieder in diese Einfachheit zurückgedreht werden. Ich kann es nun eher begreifen, warum Doktor Strahl seinen Sohn vor allem in Ihr Haus gebracht haben wollte, er denkt in Beziehung auf das häusliche und das Gesellschaftsleben nicht ganz wie seine Frau.«
Dorothea sah, daß Fräulein Smele sich zurückziehen wollte und begleitete sie nach ihrem Schlafgemach. Dann trat sie in das Zimmer ihrer Tochter ein. Dori stand am Fenster, durch das die milde, von Blumenduft gewürzte Nachtluft hereinwehte. Dorothea schaute einen Augenblick auf ihr Kind, dann fagte sie: »Dori, du hast einen schönen Tag gehabt heute, was kämpft so in dir?«
»Ja, Mutter, das war ein schöner Tag«, wiederholte Dori, »aber ich habe ein solches Leid im Herzen und gleich daneben ein solches Glück, daß es immer auf und nieder geht in mir. Es tut mir so weh, an den armen Doktor Strahl zu denken, der nun einsam, ohne Frau und ohne Kinder sein Leid in sich
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