Was soll denn aus ihr werden?
übergeben kann, in bessere könnte er nicht kommen.« Da der Vater selbst zu einer Reise genötigt war, wollte er, daß ich sofort auch das einsame Haus verlasse und Ihnen den Jungen zuführe. Auf meine Einwendungen, daß man doch wohl erst anfragen sollte, meinte er, das sei überflüssig, er kenne Sie und Ihre Frau Mutter zu gut, um daran zu zweifeln, daß Sie wenigstens für die Zeit seiner Abwesenheit seinen Sohn aufnehmen werden. Sein Wunsch wäre freilich, den Jungen für die nächsten zwei Jahre in Ihren Händen zu lassen.«
»Ja, ich will schon da bleiben, ganz gern«, erklärte Otto, »und Eduard kann mit Ihnen heimkehren, Fräulein Smele, ich bleibe doch nun immer mit Tante Dori zusammen.« Jedermann schaute nach dem erwähnten Eduard, den keiner mehr beachtet hatte. Als der kleine Fremdling so vergessen in einem Winkel stand, hatte die unternehmende Marietta sich ihm genähert und ihn unter ihre Flügel genommen. Sie war mit ihm in den Garten hinausgegangen und trug ihm nun schöne Steinchen und Schneckenhäuschen zu. Dorothea entdeckte die Kinder und ging zu ihnen hinaus. »Eduard ist das Söhnchen eines Verwandten und Ottos Spielgenosse zu Haus«, fuhr Fräulein Smele fort, »der Herr Doktor meinte, es möchte für Fräulein Dori leichter und angenehmer sein, den Otto zu behalten, wenner den bekannten Kameraden neben sich hätte. Der Vater des Jungen war auch sehr für diese Versetzung seines Söhnchens eingenommen, da dieser kürzlich seine Mutter verloren hatte.« Dorothea war mit dem kleinen Fremdling wieder eingetreten. Dori winkte ihm, daß er zu ihr komme. »Komm, mein lieber Junge«, sagte sie, ihn mit in den Arm einschließend, den sie um Otto gelegt hatte, »wenn du keine Mutter mehr hast, so will ich deine Mutter sein.«
»Die meine auch«, sagte Otto und drängte sich noch näher an Dori heran.
»Die meine noch viel mehr!« rief Willi und umklammerte mit seinen magern Ärmchen Doris Hals so fest, als sollte keine Macht ihn mehr davon ablösen. Dori umschlang ihre drei Buben und schaute nach ihrer Mutter hinüber. Diese lächelte und nickte verständnisvoll, sie mußte Doris fragenden Blick wohl verstanden haben. Jetzt sprang Dori auf. Nun sei es Zeit, daß sie ihren Kindern für Lager sorge, und die Mutter werde ein gutes Abendessen rüsten wollen, meinte sie, denn nach der langen Reise müßten die Gäste nach beidem verlangen. Was Dori an die Hand nahm, wurde rasch zu Ende gebracht. In kurzer Zeit saß die Gesellschaft fröhlich beim Mahle; auch die hilfreiche Marietta fehlte nicht an der Seite ihres neuen Freundes, und die alte Maja ging geschäftig ein und aus, war es doch ihr Stolz, die einzige zu sein, die in Dorotheas Haus mit Hand anlegen durfte.
Als die Kinder im luftigen Zimmer neben der Terrasse tief in ihren Kissen lagen und lange Atemzüge zogen, ging Dori noch einmal von einem Bettchen zum andern. Auf Willis früher so blassen Wangen lag jetzt ein leises Rot, das hatte er hier, in der milden Luft und sorgsamen Pflege gewonnen. Es spielte ein Lächeln um die schmalen Lippen. »Bei uns ist dir wohl«, sagte Dori, in stillem Glück den Schläfer betrachtend. Dann küßte sie ihn. »Ja, ich will dir eine Mutter sein und dir durch Liebe ersetzen, was du sonst im Leben entbehren mußt, mein armer kleinerWilli.« »Du sollst auch mein Kind sein, du mutterloses Bübchen«, sagte sie, an Eduards Bettchen tretend, und über den kleinen Fremdling gebeugt, küßte sie ihn zärtlich, so als wollte sie ihn fühlen lassen, daß er wieder von Mutterarmen umfangen sei. Sie trat zu Otto heran. Das dunkle Lockenhaar ringelte sich um das volle, rosige Kindergesicht. Ein heiteres Glück lag auf der schönen Stirn. »Wie kannst nur du mich nötig haben, mein herrlicher Junge?« fragte sie leise sich aus ihn neigend. »Aber lieb will ich dich haben und Sorge um dich tragen, so wie es dein Vater tat.« Dori setzte sich an das Bettchen und zog einen Brief aus der Tasche. Sie hatte ihn schon einmal gelesen, Fräulein Smele hatte ihn gleich bei ihrer Ankunft in Doris Hand gelegt; er war von Doktor Strahl. In wenigen, aber warmen Worten sagte er ihr, wie die Nachricht, sie nehme Kinder bei sich auf, ihn von einer seiner größten Sorgen, die ihn drücken, befreit habe. Daß er sein bestes Gut, seinen Jüngsten, den er in fremde Hände zu geben nicht über sich bringen konnte, während die Notwendigkeit ihn dazu drängte, nun ihrer Pflege und ihrem Einfluß überlassen dürfe, das sei für ihn eine
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