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Was uns nicht gehört - Roman

Was uns nicht gehört - Roman

Titel: Was uns nicht gehört - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nagel , Kimche AG <Zürich>
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gemixt haben. Du glaubst ja nicht, was in solchen Läden gesoffen wird.»
    Ich nickte und stand auf, und als ich keine zehn Minuten später zurück war, hatte ich tatsächlich eine Tüte mit Eiswürfeln dabei. Zu meiner Überraschung hatte die Frau vom Vorabend ohne weitere Nachfrage ihren Posten hinter dem Empfang für mich verlassen, und als sie kurz darauf mit dem Eis wieder auftauchte, sagte sie: «Ich habe schon davon gehört, entschuldigen Sie bitte, wenn ich gestern Abend ein bisschen barsch zu Ihnen war.»
    Ich bedankte mich und ging und fand Maria schlafend, aber kaum hatte ich begonnen, die Schränke nach Geschirrtüchern zu durchsuchen, richtete sie ihren Oberkörper im Bett auf und lächelte mich an.
    «Du Held», sagte sie, und nachdem ich ihr wenig später das erste Eistuch um den Knöchel gebunden hatte, legte sie ihren Arm um meinen Hals und zog mich an sich. Maria küsste meine Schläfe und verrieb anschließend die Feuchte, die sie dort zurückgelassen hatte, mit ihrer Nasenspitze.
    «Ich habe vier Tage frei, das wird schon reichen, um wieder auf die Füße zu kommen. Und wenn nicht, musst du halt ran. Du hast mir das ja schließlich auch eingebrockt.»
    «Ich?»
    «Natürlich du. Wer wollte denn, dass ich so auftrete?»
    Maria stützte sich mit den Händen nach hinten ab, aber schon im nächsten Augenblick gab sie ihre neue Position wieder auf und ließ sich langsam zurück auf die Matratze sinken, und ich glaubte zu erkennen, wie sie sich bemühte, den neuerlichen Schmerz, der ihr in den Fuß schoss, vor mir zu verbergen.
    «Niemand», sagte ich, «hat dich gezwungen.»
    «Natürlich nicht», erwiderte sie, «niemand zwingt mich zu irgendwas. Dich im übrigen auch nicht. Also wenn es dir zu blöd wird, hier den Samariter zu spielen, kannst du dir gerne auch anderweitig deine Zeit vertreiben, ich komme schon zurecht.»
    Irritiert über die plötzliche Schärfe in ihrer Stimme rückte ich ein wenig von ihr ab und stand schließlich auf.
    «Du bist ungerecht, das weißt du.»
    Maria lachte trocken. «Von mir aus, aber mit ein bisschen Ungerechtigkeit im Leben muss man schon klarkommen. Und jetzt leg dich wieder hin und schlaf! Vielleicht musst du mich die nächsten Tage durch die Gegend tragen, da musst du ausgeruht sein.»
    Noch einmal richtete sie sich auf und zog ihr Oberteil aus, einen schlichten Pullover mit aufgenähten Armflicken, die Cordhosen aber behielt sie an. Ich selbst schlüpfte in meinen Pyjama, und als ich wenig später zurück im Bett war, fasste Maria nach meiner Hand und drückte sie fest und lange und beinahe ein wenig verzweifelt.
    Am nächsten Morgen war Maria tot. Ich hatte tief und traumlos geschlafen, und als ich die Augen aufschlug, war der Platz neben mir leer. Ich sah Maria vor der kleinen Toilettenkammer auf dem Boden liegen und eilte zu ihr hin, aber ihre Stirn war bereits kalt. Unfähig, einen Gedanken zu fassen, sank ich neben ihr auf den kleinen Läufer, der vor der Toilette die rauen Teppichfliesen bedeckte, sank in ihn hinein, in ihn und in mich, und als ich von weit her das Klingeln ihres Handys hörte, war es so wenig Teil meiner Realität wie mein von der Nacht schmerzender Rücken und das Prasseln des Regens auf dem Wagendach. Irgendwann immerhin fragte ich mich, ob Maria wirklich tot war, und fühlte ihren Puls, aber auch ihre Handgelenke waren leblos und kalt, und als ich meine Hand flach auf ihre Brust legte, spürte ich auch dort nichts. Trotzdem wählte ich die Nummer des Notrufs, doch der Arzt, der nur wenige Minuten später auf dem Parkplatz vor dem Altersheim eintraf, wusste mir nichts anderes zu sagen als das, was mir längst klar war.
    «Aber wie kann das sein», sagte ich, «sie hat sich nur den Fuß vertreten, an so was stirbt man doch nicht.»
    «Den Fuß?», fragte der Arzt zurück und schien erst jetzt Marias geschwollenen Knöchel zu bemerken, der sich über Nacht bläulich verfärbt hatte, und nachdem er ihn untersucht hatte, fügte er mit ernster Stimme hinzu: «Wer bitte hat sich darum gekümmert?»
    «Niemand», erwiderte ich, «sie wollte keinen Arzt.»
    Er ließ Marias Fuß los und sah mich an. «Und Sie», fragte er, «was wollten Sie? Und wer genau sind Sie eigentlich? Ihr Mann?»
    «Nein, ich meine, ja», stammelte ich, «nicht wirklich. Ich fahre mit ihr durch den Gegend.»
    «Sie fahren mit ihr durch die Gegend», wiederholte der Arzt und dehnte seine Worte, als müsste er sich jedes einzelne davon für die Ewigkeit einprägen.

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