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Was uns nicht gehört - Roman

Was uns nicht gehört - Roman

Titel: Was uns nicht gehört - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nagel , Kimche AG <Zürich>
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kleinen Tisch nicht weit von uns.
    Er verharrte einen Moment, dann drehte er sich zu Maria um und lächelte. «Das ist gut, was Sie da machen», sagte er, «sehr lustig. So was haben wir hier selten.»
    Maria sah ihn an, ein Blick, dem der junge Mann nur Bruchteile von Sekunden standhielt.
    «Das ist nicht gut», fauchte Maria, «und schon gar nicht lustig, und die Kekse kannst du gleich wieder mitnehmen. Kein Mensch isst Kekse, wenn er singen muss.»
    Verstört murmelte der junge Mann eine Entschuldigung und nahm den Teller wieder mit, und als er außer Sichtweite war, sagte Maria: «Armer Kerl, jetzt hat er es abbekommen», dann stand sie auf und ging zurück auf die Bühne.
    Sie sang La Paloma, adé und Martin und hatte gerade wieder begonnen, ein wenig zu ihrer gewohnten Stimme und Gestik zurückzufinden, als sie auf einmal mit dem Absatz ihres rechten Schuhs an einer Bodensteckdose hängenblieb und umknickte. Instinktiv machte sie eine Ausgleichsbewegung mit ihren Armen, bei der es ihr mit Mühe gelang, ihr Mikrofon in der Hand zu behalten, ihren Sturz aber konnte sie nicht mehr aufhalten. Das Ganze so lautlos, dass es mir vorkam, als wäre es fern jeder Wirklichkeit, eine Szene aus einem Film oder das Bruchstück eines Traums, und als Maria schließlich seltsam gekrümmt auf dem Boden lag, vergingen weitere Sekunden, bis sie vor Schmerzen aufschrie. Ich sprang von meinem Stuhl hoch und eilte zu ihr hin, eilte zu Maria, die abwechselnd die Augen zupresste und auf ihren rechten Knöchel deutete, «tu was», zischte sie, ohne mich dabei anzusehen, «verdammt, tu was!»
    Hilfesuchend blickte ich ins Publikum, das erstarrt auf seinen Plätzen saß und sich die Hände vor den Mund, den Kopf oder sonst wohin schlug, ein Mann in der ersten Reihe gar schloss die Augen, als gälte es, den düsteren Bildern seines Lebens keine neuen hinzuzufügen. Erneut tauchte der junge Mann auf der Bühne auf und mit ihm zwei Schwestern, die sich sofort an Marias Fuß zu schaffen machten, aber Maria wollte keine Hilfe und wollte auch keinen Arzt, den eine der Frauen ihr anbot zu rufen.
    «Komm schon, hilf mir hoch!», sagte sie stattdessen zu mir, und als ich sie tatsächlich kurz darauf wieder auf den Beinen hatte, bestand sie darauf, mit mir zurück zum Wagen zu gehen.
    «Aber du kannst nicht gehen», protestierte ich.
    «Wetten, ich kann? Und wenn nicht, dann trag mich eben!» Ihre Stimme war schrill und gleichzeitig seltsam belegt, heiser fast, ihr Gesicht gerötet wie nach einem Dauerlauf.
    Maria war keine Sonja, trotzdem fragte ich mich, ob ich ihr Gewicht würde halten können, doch als ich ihren Rumpf schließlich mit beiden Armen fasste und sie anhob, fiel es mir leichter als gedacht. Ich ging mit ihr zum Rand der Bühne, und als wir sie die kleine Treppe hinunter verließen, begann das Publikum zu applaudieren. Ich war mir sicher, dass der Beifall auch mir galt, mir und meinem beherzten Zugreifen, aber für Maria schien es ausgemacht, dass das hier ihr Schlussapplaus war, ihrer allein. Wie ein Fußballspieler, der verletzt vom Feld getragen wird, winkte sie im Hinausgehen noch einmal in die Menge, «wenn es nicht so scheiß wehtun würde», flüsterte sie gegen meinen Hals, «wäre es sogar schön.»
    Ich brachte sie zurück in den Wagen und legte sie aufs Bett, aber als ich wenig später mein Handy aus der Hosentasche nahm, um einen Arzt zu rufen, fasste sie mir grob in den Arm.
    «Wenn du willst», sagte sie, «dann hol ein bisschen Eis, und nachher machen wir eine Binde drum, mehr macht ein Arzt auch nicht.»
    «Und wenn etwas gebrochen ist?»
    Unwirsch schüttelte Maria den Kopf. «Vergiss es. Außerdem habe ich keine Krankenversicherung, und wenn ich es richtig sehe, sind wir gerade nicht so richtig gut bei Kasse.»
    «Aber für so was ist immer Geld da.»
    «Ach ja», erwiderte Maria, «dann lass uns doch mal in dein Portemonnaie schauen. Bei mir sind es noch ziemlich genau fünfundvierzig Euro, dafür gibt dir ein Arzt gerade einmal die Hand.»
    «Und die Konzerte?»
    Maria lachte kurz auf und versuchte, ihre Position auf dem Bett ein wenig zu verändern, genug, um sie vor Schmerzen erneut aufschreien zu lassen. Vorsichtig legte ich meine Hand auf ihre Stirn, und ich spürte, wie sich ihr Körper unter meiner Berührung ein wenig entspannte.
    «Das sind Altenheime», sagte sie schließlich mit gedämpfter Stimme, «da hat es keiner eilig. Und jetzt geh endlich, bevor die da drinnen alles Eis in die Abendcocktails

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