Was uns nicht gehört - Roman
irgendwann in die Stille, «hast du einen Wunsch frei.»
Verwundert ließ ich meinen Kopf zur Seite kippen und sah sie an.
«War das hier nicht eher mein Wunsch?»
Maria lachte. «Glaube ich nicht, zumindest nicht heute. Also, was ist?»
Ich drehte meinen Kopf zurück und blickte zur Decke. Draußen war erneut Wind aufgekommen, und obwohl wir zugedeckt lagen, fror ich noch immer. Vielleicht, so dachte ich, konnte ich Maria fragen, wo sie die letzte Nacht verbracht hatte, die Nacht und den Morgen, aber das war nicht wirklich ein Wunsch. So wenig wie die Bitte, mir mehr von ihren Ehemännern und ihrer Zeit im Gefängnis zu erzählen, Details ihres Lebens, die mich ohnehin nicht interessierten oder doch interessierten und vor denen ich mehr Angst hatte, als ich mir eingestehen wollte.
«Gut», sagte ich schließlich, «dann wünsche ich mir, dass du heute Abend nicht als Mireille Mathieu auftrittst.»
«Du meinst, ich soll das Konzert absagen?»
«Nein, du sollst alles machen wie immer, nur ohne deine Verkleidung.»
Trotz des nachlassenden Lichts glaubte ich zu erkennen, wie Marias Gesicht fahl wurde.
«Aber das geht nicht», sagte sie, «ich trete nie ohne auf.»
«Du hast mich nach meinem Wunsch gefragt», erwiderte ich, «und ich habe ihn dir gesagt. Einen anderen habe ich nicht.»
Maria richtete sich auf und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand. Sie schaute zu ihrem Kleid, das noch immer am Rand des Bettes lag, und ich sah, wie es in ihrem Kopf zu arbeiten begann. Mir war klar, dass das Ganze idiotisch war, dass Maria mir nichts schuldete, zu allerletzt dafür, dass wir miteinander geschlafen hatten. Wenn schon, dann schuldete ich Maria etwas. Ich wusste, was ich ihr zu verdanken hatte, und wahrscheinlich hoffte sie mit einigem Recht darauf, dass ich meinen Wunsch wieder zurücknahm, aber ich war nicht in der Stimmung, etwas zurückzunehmen. Maria wich meinem Blick aus und schaute stattdessen zum Fenster. So verharrte sie einige Sekunden, dann stand sie auf und schlüpfte in ihren Slip, wenig später in eine schlichte Cordhose, die ich zum ersten Mal an ihr sah. Schließlich klaubte sie meine Kleider vom Boden und warf sie mir zu.
«Komm, Epkes», sagte sie, «wir müssen uns fertig machen.»
V Maria zitterte. Im Grunde spürte ich es mehr, als ich es sah: eine Unruhe in ihrem Gang, in der Bewegung ihrer Hände, die nicht recht wussten, wohin, und die sich schließlich ums Mikrofon krallten, als wollten sie es nie wieder loslassen. Anders als bei den Auftritten zuvor, die ich von ihr erlebt hatte, saß ich im Seitenbereich der Bühne und sah sie von schräg hinten, ohne gleichzeitig das Publikum im Blick zu haben. Maria sang ihr erstes Lied und das zweite ohne Pause hinterher, und spätestens als sie sich danach ein erstes Mal verbeugte, wusste ich, dass mein Wunsch ein Fehler gewesen war. Was ich sah, war nicht Maria ohne, sondern mit doppelter Verkleidung, eine als Maria Merz kostümierte Mireille Mathieu, die verzweifelt versuchte, ihre fehlenden Requisiten vergessen zu machen, indem sie ihre einstudierten Gesten bis zur Unkenntlichkeit überzeichnete. Ich wandte mich ab, in der Hoffnung, mich so der Peinlichkeit ihres Auftritts entziehen zu können, aber den Blick vor mich auf den Boden gerichtet, bemerkte ich, dass sich auch ihr Gesang verändert hatte. Marias Stimme war viel näher an der Mireille Mathieus als sonst, verlor dabei aber gleichzeitig jede Kontur und Eigenständigkeit, und bald schon wollte ich ihr auch nicht mehr zuhören.
Ihr Publikum freilich schien von all dem nichts zu bemerken. Anders als ich hatte es keinen Vergleich, dennoch musste irgendetwas von dem, was mit Maria nicht stimmte, doch auch bei ihnen ankommen. Aber zu meiner Verwunderung wirkte der Beifall echt und herzlich, und als Maria sich in eine kurze Pause verabschiedete, trommelten einige sogar mit den Füßen. Sie kam hinter die Bühne und ließ sich ungewohnt schwerfällig neben mich auf den Boden sinken, doch als ich ihr anbot, ihr für die zweite Hälfte ihr Kleid und ihre Perücke zu holen, wollte sie davon nichts wissen.
«Eigentlich», sagte sie, «sollte ich dich dafür hassen.»
«Und», fragte ich, «tust du es?»
Maria sah zu mir auf. «Vielleicht, aber wer weiß schon, wofür es gut ist, zwischendurch mal wieder ein bisschen an der Hölle geschnuppert zu haben.»
Ein junger Mann kam hinter die Bühne und brachte Maria eine Flasche Wasser und einen Teller mit Keksen und stellte sie auf einen
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