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Was weiß der Richter von der Liebe

Was weiß der Richter von der Liebe

Titel: Was weiß der Richter von der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Ungerer
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oder das Echo abgrundtiefer Gemeinheit, um sie den Lesern zur gefälligen Erbauung aufzubereiten: die Friseuse, die den Tattergreis geheiratet hat, um ihm sein Geld abzunehmen; der Fußballfanatiker, der im Wettbüro austickt, weil der Mann am Schalter seine Wette nicht mehr stornieren will; die alte, ausgebrannte Frau, die ihren Lebensgefährten in einer Aufwallung mit dem Küchenmesser ansticht, dass das böse Leben ihm entweicht … Solcherlei Dinge gefallen uns gut. Die liest der Leser gern.
    Heute aber? Auf die Prozessvorschau vertrauend, mit der die Justizpressestelle uns jede Woche versorgt, wollten wir herausbekommen: Warum will jemand 27 Pakete Kaffee stehlen – neunzehnmal Jacobs Krönung, achtmal Jacobs Meisterröstung? Und warum, auch das erregte unser Interesse, wenn einer einen räuberischen Diebstahl begeht und sich, für 27 Pakete Kaffee, sogar in eine bewaffnete Auseinandersetzung begibt – warum hat er dann nichts Besseres als CS-Gas zur Hand? Und ist die Antwort doch so einfach: Beschaffungskriminalität. Ach herrje, und dafür sind wir so früh aufgestanden.
    Die Richterin bringt auch keine Brisanz ins Spiel: Man kenne sich ja schon, spricht sie mütterlich in die Richtung des Angeklagten,und interessiert fragt sie ihn nach der Herkunft seines zweiten Vornamens, Emanuel, bleibt aber ohne rechte Antwort. So fragt sie ihn nach seinem Tag, dem der Tat: wie der sich abgespielt habe. Der Tag ist einer der üblichen Tage gewesen. Er fing mit dem Gang zur Praxis an, in der es Methadon abzuholen gab, später sind dann noch vierzig oder fünfzig Milligramm Diazepam (vulgo: Valium) konsumiert worden sowie Bier. Der Entschluss, im »Kaiser’s« in Lichtenberg, wo bereits ein Hausverbot bestand, den fraglichen Kaffee zu entwenden, der ist dann gegen Ende dieses Tages aufgekommen. Ob der Täter denn sonst noch Freunde habe, will die Richterin wissen, außer diesem einen türkischen Staatsangehörigen, mit dem er sich treffe, um Diazepam und Bier zu konsumieren? Fragt sie. Nein, Freunde hat der Angeklagte sonst keine. Er sitzt, ausgeschnitten aus allen Lebenszusammenhängen, eine einzeln schwebende menschliche Seele, in dem viel zu großen, schwer getäfelten Karree, das Angeklagten vorbehalten ist; still und reglos. Als wir hereinkamen, haben wir ihn glatt übersehen und waren uns einen Moment lang sicher, die ganze Verhandlung falle heute flach.
    Doch es findet etwas statt hier heute, die schweren Mühlsteine des Strafgesetzes drehen und wälzen sich vorwärts, knirschend, in ihrem eigenen Tempo. Verteidigerin und Angeklagter werden gehört. Ein Zeuge wird gehört, ein Student, wie sie bei »Kaiser’s« gerne die Spätschicht zu schieben kriegen. Der Zeuge hat den gesamten Entwendungsvorgang, das stoische Rüberladen der Kaffeepakete in eine Sporttasche und eine Alditüte, mitten im Laden, von Beginn an überwacht, er hat den Angeklagten bis zum Ausgangsbereichkommen lassen und dann angesprochen, hat ihn sodann gegen die Türöffnung drücken müssen und schließlich zu Boden (hatte er doch Anweisung, die 27 Pakete Kaffee keinesfalls entkommen zu lassen), hat sich dort dann mehrere Stöße vom CS-Gas eingefangen, mit welchem sich der Angeklagte allerdings auch selbst, in seinem Zustand, malträtierte, hat schließlich mit Hilfe eines Kollegen den Ringkampf siegreich beendet und das Eintreffen der Polizei abgewartet, und darf hier, unvereidigt entlassen bereits, der Richterin, die sich für alle Lebensaspekte junger Männer interessiert, auf Anfrage mitteilen: ob das denn lukrativ sei, bei »Kaiser’s«. Und im Abgehen beruhigt er sie: Sieben Euro fünfzig die Stunde. Er habe jetzt gekündigt.
    Zwei Zeugen kommen danach noch. Andere sind verhindert. Es gibt eine Pause. Wir gehen ins Straßencafé, in die Spätsommersonne, dem preußisch protzigen Klotz gegenüber, in dem die Rechtsprechung wohnt. Wir füttern unsere analytischen Kräfte mit Kaffee und einer Rumkugel ohne Geschmack. Wir stöhnen dem Zeichner an unserer Seite vor: Wie öde das doch sei. Dass dem Ganzen der Glamour fehle. Und, zwischen zwei Zigarillos, spricht uns der psychiatrische Sachverständige des Verfahrens an, der sich’s am Nebentisch gemütlich gemacht hat: Ob wir wohl Praktikanten seien? Wir seufzen, denn so fühlen wir uns auch, und wir klagen ihm unser Leid: dass man mit dem ganzen Fall doch nichts anfangen könne und ob denn wohl wenigstens er noch mit seinem Gutachten an die Reihe komme? Der Sachverständige versucht uns

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