Was weiß der Richter von der Liebe
aufzumuntern und lockt mit einem attraktiven Folgetermin: Da hätten vier Leute eine Tankstelle mit einerscharfen Waffe überfallen! Das sei doch recht ungewöhnlich, die scharfe Waffe, und das wäre dann um halb eins. Wir blicken auf die Uhr: Wird eng für ihn heute. Wenn alles schiefläuft, wird sein Auftritt auch noch vertagt.
Wir gehen zurück zum Gerichtssaal, wo der Angeklagte seit dem Morgen halb zu Boden, halb ins Nichts starrt, wir setzen uns auf unsere Reporterbank, derweil weitere Zeugen durchlaufen und auch der Auszug aus dem Bundeszentralregister verlesen wird: ein Diebstahl geringwertiger Sachen hier, ein Erschleichen von Leistungen dort, unerlaubter Besitz von Betäubungsmitteln – das ist so die zarte Spur, die der Angeklagte im großen Gesamtgefüge hinterlassen hat; zu mehr hat es nie gereicht.
Wie gut, dass der Sachverständige noch ein paar Minuten Zeit hat, uns allen den Angeklagten zu erklären: Informatiker sei der Vater, die Mutter Psychologin, und obwohl für alles gesorgt gewesen sei, so habe er doch die Atmosphäre in der Familie immer als kühl empfunden. So habe er doch niemals eine intensive Beziehung geführt, so habe er das Gefühl, ein durch und durch unattraktiver Mensch zu sein, sei er mutlos, habe er als Kind zwar gelegentlich gekokelt, sei gehänselt worden und habe es nie geschafft, Freundschaften einzugehen, habe allerdings, rattert es, nie Halluzinationen gehabt, keine Anzeichen von Schizophrenie, sei weder manisch noch richtig depressiv, für Suizidneigungen sei er zu mutlos: Alkohol hat er mit vierzehn zu trinken begonnen, zwischendurch auch schon einmal hochprozentig, doch das hat sich bei ungefähr acht Bier am Tag eingepegelt jetzt. Mit sechzehn oder siebzehn habe er im Internet Benzodiazepine entdeckt,die hätten ihn sehr entspannt, und da habe er dann weiter gesucht, habe interessanterweise die Substitutionspräparate wie Methadon noch vor dem Heroin eingenommen, sei nach abgebrochenem Gymnasium und abgebrochener Ausbildung dann nach Berlin gegangen, wo ein rasanter sozialer Abstieg begonnen habe, eine entzündete Leber habe er, und ein »Sammelsurium von Abhängigkeiten« hat der Gutachter entdeckt. Er habe ihn gefragt: Waren Sie mal fröhlich? Nein, habe es da geheißen, ich kann das nicht.
Bald ist der Gutachter fertig. Punktlandung! Lobt die Richterin. Fünf vor halb eins. Sie kann ihn entlassen. Kann sich überlegen, was das Beste ist. Ringsum rät man zu Maßregelvollzug gemäß Paragraph 64 des Strafgesetzbuchs, darauf wird es vermutlich hinauslaufen dann. Vom Angeklagten aber, 25 Jahre jung, möchte die Richterin gerne noch ein Lebenszeichen einholen: Wie alt denn seine Geschwister seien. Und was die so tun. Fragt sie. Er gibt Auskunft, tonlos, leise. Dann weiß sie erst einmal genug.
EINE ROBBE VON RILKE
Eigentlich ist der Exschwager schuld. Dass wir hier sitzen. Das kennen wir schon: Der Exschwager ist ziemlich oft schuld, wenn man so auf Moabiter Gestühl sein Sitzfleisch walkt. Er ist eine weithin unterschätzte Instanz im menschlichen Leben, er öffnet falsche Kreise, in die man gerät, er ist der Nahestehende, für den man am wenigsten kann (»Ich wollte gar nicht heiraten!«, wird der Angeklagte dem Richter versichern), er zieht einen hinunter auf die schiefe Bahn. Und da nützt es wenig, dass man mittlerweile losgekommen ist von diesem biografischen Irrtum, dass man glaubhaft versichern kann, man habe ein neues Leben begonnen und mit diesen Leuten nüscht mehr zu tun: Den Exschwager hat es gegeben, und er hat auf den Lebenslauf massiv eingewirkt von jenem Tag an, da er so merkwürdig runde Augen bekam: Ach! Spiropent!
Ja, Spiropent. Er hatte ganz richtig gesehen. Spiropent ist ein mächtiger Zauber, er hält das Gericht heute in Atem. Das Wort hat der Staatsanwalt, ein würdiger Mensch mit lichterem Haar, er hat sich eine Flasche Wasser mitgebracht, nun steht er da, und er sagt: »Spiropent«. Er wird das jetzt öfter sagen, »Spiropent N3« wird er sagen, (die zu dreiundzwanzig Euro zehn), oder »Spiropent N1« wird er sagen (die zu fünf Euro einundsiebzig), oder auch »Spiropent N2« kommt vor, das ist die Fünfziger-Packung.
Zusammengehalten werden die Spiropent von Datumszahlen, einhunderteinundfünfzig Fälle gibt es zu verlesen, für die HerrHübner heute angeklagt ist, alle zwischen August und Oktober 2002, da gibt es eine Menge zu tun, und der Staatsanwalt schlägt sich wacker, kaum kommt er ins Haspeln: Spiropent N3, Spiropent N1,
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