Was will man mehr (German Edition)
Mulligan und ich sind die letzten Fahrgäste. Auch er registriert es nun.
«Die Achse ist hin», erklärt Willi. «Totalschaden. Also ist hier Schluss. Tut mir wirklich leid, aber da kann man nichts machen.»
«Haben wir etwa den Ersatzbus verpasst?», fragt Mulligan.
Willi schüttelt den Kopf. «Es gibt keinen Ersatzbus. Zumindest nicht vor morgen früh. Die anderen Reisegäste haben sich zu Fuß auf den Weg gemacht. Es sind nur knapp vier Kilometer bis zum Hafen, und die nächste Fähre geht erst in zwei Stunden. Das ist also problemlos zu schaffen.»
«Ist denn niemand auf die Idee gekommen, ein Taxi zu rufen?», fragt Mulligan verwundert und nimmt noch einen großen Schluck Guinness.
«Doch, aber da geht keiner ran. Entweder die sind beschäftigt, oder die haben auch technische Probleme.»
Mulligan und ich wechseln einen Blick.
«Tja …», sage ich und denke mit Unbehagen an meine beiden schweren Koffer. Vor vier Jahren hatte ich meinen ersten Bandscheibenvorfall, der zweite dürfte heute Nacht fällig werden.
Mulligan scheint ganz ähnliche Befürchtungen zu haben. «Wir sollen also mitsamt unserem Gepäck …?»
«Nein. Das Gepäck liefern wir selbstverständlich nach», unterbricht Willi generös. «Sie brauchen nur das Nötigste mitzunehmen. Die restlichen Sachen können ab morgen Mittag in unserem Büro in London abgeholt werden. Zusammen mit einem Reisegutschein als kleine Entschädigung für die Unannehmlichkeiten.»
«Und wie kommen wir von Dover nach London?», frage ich.
«Wir tun unser Bestes, um einen Ersatzbus zu chartern. Es dauert ja noch ein paar Stunden, bis die Fähre drüben ist. Bis dahin haben wir sicher eine Lösung gefunden.»
Mulligan zieht seine Kühltasche unterm Sitz hervor, greift nach seiner Jacke und erhebt sich. «Dann wollen wir mal, oder?»
Ich zucke mit den Schultern. «Wird uns nichts anderes übrigbleiben.»
Die Luft ist klar, schwarze Wolken verdecken den Sternenhimmel. Eine Weile gehen wir schweigend die spärlich beleuchtete Landstraße entlang. Mulligan steckt sich eine Zigarette an, öffnet eine Dose Bier und hält sie mir hin. Ich schüttele den Kopf. Ein Kaffee wäre mir jetzt lieber.
«Gibt es eigentlich in Ihrem Leben auch eine Betty Crowley? Oder hatten Sie mehr Glück in der Liebe als ich?»
Betty Crowley! Jetzt fällt mir wieder ein, dass wir zuletzt über sie sprachen. «Sie haben mir noch nicht erzählt, unter welchen Umständen Sie sie wiedergesehen haben.»
«Weichen Sie etwa meiner Frage aus?»
«Keineswegs.»
«Kommt mir aber so vor.»
«Es gibt auch eine unglückliche Liebe in meinem Leben», erwidere ich. «Ich erzähle Ihnen die Geschichte, aber zuerst möchte ich wissen, was aus Betty Crowley geworden ist.»
Mulligan wirft seine gerade erst angerauchte Zigarette auf die Straße, wo sie zischend in einer kleinen Pfütze erlischt. «Schmeckt nicht», kommentiert er und spült mit einem Schluck Guinness nach. «Ich habe Betty Crowley gleich nach meinem Studium wiedergesehen. Und seitdem sehe ich sie praktisch täglich.»
«Dann hatte die Geschichte doch ein Happy End?», frage ich irritiert.
«Nein. Wie ich viel später erfahren habe, hatte Betty noch ein zweites Eisen im Feuer, als sie mich abservierte. Während ich noch dachte, sie wäre sauer auf mich, lag sie längst im Bett von Patrick Tailor. Im Vergleich zu mir war er klar die bessere Partie. Er wollte das Autohaus seines Vaters übernehmen und eine Filiale in London eröffnen.»
«Sie ist seine Frau geworden», rate ich.
«Ganz genau», erwidert Mulligan. «Zu einer Londoner Filiale hat Patrick es nie gebracht, aber er bekam Betty. Später obendrein das Amt des Bürgermeisters. Und all das in genau jenem Kaff, das ich als Seelsorger betreue. Mein Bischof hielt es nämlich für eine gute Idee, dass ich dort als Priester arbeite, wo ich geboren bin.»
«Warum haben Sie nicht einfach um eine Versetzung gebeten?»
«Hab ich. Leider ohne Erfolg. Drei lange Jahre hab ich mich regelmäßig beim Bischof gemeldet, um immer neue Argumente für meine Versetzung vorzubringen. Aber er hat mich nicht erhört. Immerhin war das die Zeit, die ich brauchte, um über Betty Tailor hinwegzukommen.»
«Drei Jahre», wiederhole ich gedehnt und überschlage, dass die Sache mit Iris ein gutes Jahr zurückliegt. Ich stecke also noch in der ersten Halbzeit, und schon die kommt mir quälend lang vor.
«Am meisten hat es mir geholfen, mich in die Situation von Patrick zu versetzen», fährt
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