Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Was wir erben (German Edition)

Was wir erben (German Edition)

Titel: Was wir erben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: BjÖrn Bicker
Vom Netzwerk:
war er unsicher geworden, aber er wollte die Unsicherheit nicht zeigen. Es schien, als wollte er die Unsicherheit und die Scham mit der Erinnerung an die Wochen vor seinem Rückfall überdecken. (»Stark sind wir doch nur, wenn wir stark sind.«) Wir sprachen nur einmal kurz über seine Sucht. Jetzt weißt du, warum wir uns so gut verstehen, murmelte er am geöffneten Klinikfenster und pustete den Qualm seiner Lucky Strike in den Sommerabend hinaus. Ich habe meinen Arm um seine Schultern gelegt und Hofffmann hat sich zu mir gedreht und mir die nächste Ladung Rauch mitten ins Gesicht geblasen. Ich habe sie tief in mich hineingesogen. Und als ich den Dunst wieder aus den Lungen fahren ließ, wurde mir schwindelig. Stille. Absolute Stille. Wir sahen uns an und uns beiden war klar,dass diese Art Einverständnis nur zwischen den Menschen bestehen kann, die wissen, was es heißt, süchtig zu sein. Ich habe den Vater für seine Sucht gehasst. Weil ich die Tochter war. Weil der Vater kein Vater sein konnte. Was ich gelernt habe als Tochter des Vaters: Es gibt ein Verlangen, das ist stärker als die Liebe. Was ich gelernt habe als Hofffmanns Freundin: Das Verlangen ist die andere Seite dieser Liebe. Was ist mit Valon, hat er mich mit zitternder Stimme gefragt. Ich habe ihm erzählt, was sie mir auf der Polizei gesagt haben. Valons Zettel. Und RICO. Hans und Franz. Was für ein Zufall. Hofffmann hat genickt. Ich habe ihn gefragt, ob er sich Vorwürfe mache wegen Valon. Hofffmann schaute weg. Ob er glaube, dass Valons Verhaftung etwas mit unserer Recherche zu tun habe. Mit dem Mann im Baumarkt. Der Firma. Mit irgendwelchen alten Netzwerken. Von dem Typ vor seinem Haus, der aussah wie der Detektiv, habe ich gar nicht gesprochen. Hofffmann zog die Schultern nach oben und ließ sie eine ganze Weile nicht wieder sinken. (»Der Zufall ist kein Zufall. Der Zufall ist die Abwesenheit unseres Gedächtnisses. Wir sollten nicht glauben, dass es mehr gibt als den Augenblick. Das wäre zu gefährlich.«) Ja, sagte er irgendwann und ließ sich erschöpft auf sein Bett fallen. Ja, alles hänge mit allem zusammen. Die Frage sei nur, wie, welchen Nutzen die Vergangenheit für uns habe. Oder ist die Vergangenheit am Ende unser Nachteil?, fragte Hofffmann, während er dalag mit geschlossenen Augen auf seinem Bett und aussah, als erwarte er die letzte Ölung. Indem Moment klopfte es kurz und energisch an der Tür und eine Krankenschwester kam rein. Sie müsse den Herrn Spatz leider entführen, er solle noch einmal zur Untersuchung des Herzens mit ihr mitkommen. Hofffmann öffnete die Augen. Er lächelte. Er setzte sich auf und winkte mich zu sich. Du musst in den Dom gehen, flüsterte er. In den Dom. Vielleicht bringt uns das weiter, vielleicht verstehen wir dann den Plan. Er wirkte etwas verrückt. Was sollte ich denn jetzt noch in diesem Scheiß-Dom. Er stand auf, schlüpfte in die geliehenen Krankenhausschlappen und folgte der Schwester. Und wenn mein Herz sorglos hüpft, rief er beim Hinausgehen, dann überlegen wir, wie wir Valon wieder herholen.
    Obwohl ich keine Lust dazu hatte, habe ich Hofffmanns Auftrag trotzdem ausgeführt. Seit ich in N. war, bin ich nicht ein einziges Mal in diesem verdammten Dom gewesen. Immerhin stand dort, in weißen Muschelsandstein gehauen, die Namensgeberin meiner kranken Schwester Ute, der Erstgeborenen des Vaters. Am nächsten Vormittag bin ich hin.
    Immerhin hast Du das Bild dieser Uta in den Sachen Deiner Mutter gefunden. Ohne diese Postkarte wären wir gar nicht auf die Idee gekommen, dass Deine Mutter ebenfalls aus N. stammen könnte. Wir haben dieser Uta also einiges zu verdanken. Und trotzdem habe ich diese Kirche während meines Aufenthaltes in N. gemieden. Warum?
    Als ich vor Uta und ihrem Mann Ekkehard stand, warich ratlos. Ich versuchte, mich zu konzentrieren. Ich sah mir die Figuren genau an. Aber ich konnte beim besten Willen nichts sehen als Stein. Ich sah das Gesicht dieser Figur und verglich es mit dem Gesicht der Schwester. Keine Ähnlichkeit. Die Schönheit dieser Figur machte mich traurig, weil ich wusste, wie die echte Ute aussieht. Das Gesicht, als wäre es immer von Schmerz verzerrt. Die gebückte Haltung, der schräg stehende Kopf. Das genaue Gegenbild zu dieser Steinfigur, die mit ihrem hochgeschlagenen Mantelkragen dasteht, als wollte sie sagen: Wer mich will, der muss mehr aufbieten als alles, was auf dieser Welt verfügbar ist. Ich weiß mehr, als euch allen lieb sein kann.

Weitere Kostenlose Bücher