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Was wir erben (German Edition)

Was wir erben (German Edition)

Titel: Was wir erben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: BjÖrn Bicker
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sonst immer getan hatte, wenn er mich gesehen hat. RICO war ein kluger Hund. (»Dieses Tier ist der lebendige Beweis für die Beliebigkeit unserer Moral. Liebe hat nichts mit Vernunft und nichts mit Vergangenheit zu tun.«) Aber jetzt ging es ihm schlecht und seine Klugheit und sein großes Herz nutzten ihm wenig. Ganz wie bei Hofffmann, seinem Adoptivbesitzer. RICO war nicht besoffen, sondern schwach. Ich habe seinen Namen gerufen. RICO. RICO. Nichts, keine Reaktion. Als ich näher zu ihm hin bin, hat er angefangen zu knurren. RICO, nicht knurren,habe ich ihm zugeflüstert und meine Hand auf sein dürres Fell gelegt. Er hat sofort aufgehört. Ohne Widerstand. Das Tier hat irgendeine Erinnerung abgespult, Knurren, Zähnefletschen, Abwehren, das Tier hat gespürt, dass etwas nicht stimmt. RICO wollte Hofffmann beschützen, aber zum Beschützen war es viel zu spät. RICO, du musst was fressen. Der Hund sah abgemagert aus. Ich bin runtergelaufen in den Laden, in dem Hofffmann normalerweise RICOs Futter gekauft hat, und habe Milch besorgt und Hundefutter und bin wieder hoch und habe RICO Wasser zu der Milch gegeben, so wie es Hofffmann immer getan hat. Der Hund hat ganz langsam angefangen, die verdünnte Milch aufzuschlecken. Und dann wurde er immer schneller. Bis er schließlich hastig die Milch mit seiner Zunge in sich reingeschlürft hat. Und dann war das feuchte, fleischige Hundefutter an der Reihe. Als er alles aufgefressen hatte, hat er mich angeschaut, von unten, mit diesem Hundeblick: Gibt’s noch mehr? Und dann ist er umgefallen und ist eingeschlafen. Und als der Hund erschöpft und satt dalag, ist mir erst aufgefallen, in was für einem Zimmer ich mich befand. Das war Hofffmanns altes Fotolabor. Die Fenster waren vernagelt. An den Wänden leere Regale, mitten im Raum eine Art Theke mit Wasserbecken, quer durch das Zimmer waren Schnüre gespannt, an denen verwaiste Wäscheklammern baumelten. An der Wand über der Tür waren Schwarz-Weiß-Fotos mit Reißzwecken festgemacht. Er hatte also doch nicht alle Fotos vernichtet. Auf den Bildern warenMenschen aus weiter Ferne aufgenommen. Menschen, die man nicht genau erkennen konnte. Ich habe die Fotos von der Wand genommen. Die Reißzwecken waren ziemlich neu. Die Fotos nicht. Die Aufnahmen waren ganz eindeutig in N. gemacht. Man sah den Dom. Den Marktplatz. Sogar den Bahnhof, vor dem Hofffmanns Taxi stand, als ich in N. angekommen bin. Alle Gebäude auf den Bildern waren noch im Zustand vor ihrer Renovierung, die Fotos waren also aufgenommen worden, als es die DDR noch gab. Die Autos. Die Kleidung der Leute. Auf einem Bild war das Wohnhaus, in dem der Vater seine Kindheit verbracht hat. Der angrenzende Friedhof. Das alte, verfallene Freibad am Rande der Stadt. Auf jedem Bild waren Menschen. Weit weg. Nicht unscharf, aber zu klein, um sie identifizieren zu können. Männer, Frauen, Kinder. Warum hat Hofffmann ausgerechnet diese Bilder aufgehoben? War das der Winzigkeit von N. geschuldet, dass auf seinen Bildern das Haus des Vaters drauf war, das Schwimmbad? Oder war Hofffmann klar, dass ich eines Tages auftauchen würde? Das kann nicht sein. Ich hatte das Gefühl, dass ich mich auf einer Schwelle befand. Noch ein Schritt, noch ein Zufall, und ich war mitten in einem ausgeklügelten und weit verzweigten Verschwörungsszenarium. Aber wer hat sich das ausgedacht?
    Jörg, der Dramaturg aus München, hat immer gesagt: Alles hängt mit allem zusammen. Deshalb ist es kompliziert, sich zurechtzufinden.
    Hallo, hallo, ist da jemand? Eine raue, fordernde Männerstimmein der Wohnung. Schritte. Ich stand wie angewurzelt in Hofffmanns altem Fotolabor. Die Schritte und die Stimme kamen immer näher. Da ist niemand, sagte ein anderer Mann. Ganz sanft und eher resigniert. Mir kamen die Stimmen bekannt vor. Ich ging zu der Sperrholztür und zwängte mich hindurch. Da standen sie: Hans und Franz, zwanzig Jahre älter, Hans der lange Dünne und Franz der kleine Dicke, beide in blauen Overalls mit einem roten, dreieckigen Aufnäher auf der Brust. Hans war der Anzug zu klein, Franz war er viel zu groß. Die beiden haben mich nicht sofort erkannt. Sie waren erleichtert, jemanden anzutreffen. Franz ergriff das Wort. Er schwitzte. Also, sie seien vom
Tierheim Hasenglück
. Die Polizei habe sie beauftragt, hier in der Wohnung des Herrn Spatz, Hans lachte bei dem Namen kurz auf, Franz warf ihm einen bissigen Blick zu, also sie sollten hier einen Hund, einen Schäferhund, abholen, um ihn in ihre

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