Was wir erben (German Edition)
Obhut zu übernehmen. Franz drückte sich, in dem Versuch, irgendeine Art von Pietät walten zu lassen, furchtbar kompliziert aus. Hans hingegen kam ohne Umschweife zur Sache: Wo ist der Köter? Ich musste lachen. Du bist Hans, sagte ich und du bist Franz. Ich dachte, ihr seid ausgewandert. Australien. Insel der Straffälligen. Die beiden sahen sich verdutzt an. Und dann aus einer Kehle: Elisabeth. Sie fielen mir um den Hals wie zwei kleine Kinder. Franz setzte sich auf einen Stuhl und zündete sich eine Zigarette an, Hans hüpfte auf der Stelle und erkundigte sich nach etwas Trinkbarem. Ich zeigte auf ein paar Büchsen Bier, die Hofffmannnicht mehr geleert hatte. Hans machte sich sofort eine auf. Nach dem Tod ihrer Eltern, ein tragischer Unfall, sagte Franz, seien sie nach N. zurückgekehrt. In Australien habe man nicht richtig Fuß fassen können, das Haus der Eltern sei nach einiger Prozessiererei wieder in ihren Besitz gegangen und so hätten sie beschlossen, nach ihrer jahrelangen Odyssee über die Weltmeere zurückzukehren nach N., um hier im heruntergekommenen Haus ihrer Adoptiveltern ein Tierheim mit angeschlossener Tierbestattung zu eröffnen. Das war uns eine Herzensangelegenheit, versicherte Franz. Hans verdrehte die Augen. Das war eine Scheißidee, sagte er. Mir schien, als hätten die beiden über die Jahre die Rollen getauscht. Franz, der kleine Dicke, war ganz zahm geworden und Hans, der Hagere, Lange mit dem fiesen Gesicht, wirkte unzufrieden, gehässig, zynisch. Sie haben die Rollen ihrem Äußeren angepasst, dachte ich. Ich erfand eine Geschichte, warum ich hier war, ich hätte den Herrn Spatz durch Zufall kennengelernt, schon vor Jahren, es habe sich eine Brieffreundschaft entwickelt und nun wollte ich ihn besuchen und da sei eben dieses Malheur passiert. Ich drückte die Hoffnung aus, der Herr Spatz möge sich bald erholen. Und der Hund, fragte Hans. Ach so, ja, der Hund. RICO heiße der. Ich schlug den beiden vor, mich um RICO zu kümmern, sie müssten ihn also gar nicht mitnehmen, das sei mir lieber. Die Mienen der beiden versteinerten. Das gehe auf keinen Fall, sie hätten diesen Auftrag, der, nebenbei erwähnt, sehr lukrativ sei, weil die Behörden dieUnterbringungskosten bezahlten, und die Zahlungsfähigkeit der Behörden sei in dieser Region bessergestellt als die der meisten Privatleute. Sie seien auf solche Aufträge angewiesen und müssten in diesem Falle von verwandtschaftlicher Kulanz Abstand nehmen. Zumal ich nicht die Besitzerin des Tieres sei, ein Tier sei eine Sache und gehöre dem, der der Besitzer sei, und das sei nicht ich, sondern dieser Herr Spatz, aber selbst da sei man sich ja nicht sicher. Auch er habe den Hund, wie man hört, nur übernommen. Aber gut, das gehe sie nichts an. Ich solle sie nicht länger an der Verrichtung ihrer Arbeit hindern, sonst. Außerdem sind wir gar nicht verwandt, sagte Hans und machte sich noch eine Dose auf. Die Situation schien zu kippen. Ich konnte ihnen das Versprechen abringen, dass sie sich bis zu Hofffmanns Genesung gut um RICO kümmern würden. Ich gab ihnen sogar Geld dafür. Sie legten RICO auf eine Decke und trugen ihn aus der Wohnung. Unten stand ein alter, nostalgisch aufpolierter Wartburg, in dessen mit Draht ausgeschlagenem Kofferraum sie den Hund legten. Auf der Seite des Wartburgs klebte ein großer, roter Aufkleber.
Tierheim Hasenglück.
Wir standen noch kurz vor dem Auto auf der Straße und ich fragte die beiden, warum sie ihrem Heim diesen Namen gegeben haben. Wir wollten etwas tun für elternlose Wesen, sagte Franz. Für hilfsbedürftige Kreaturen, ergänzte Hans. Die Menschen, die unsere Eltern sein wollten, haben die Hasen verrecken lassen. Ich hätte es ja selbst erlebt, diese Gewalttat und diese Schuld habe ihnen keineRuhe gelassen. Die Gründung des Tierheims sei also eine doppelte Wiedergutmachung. An den Hasen und an ihrer eigenen, doppelten Elternlosigkeit. Ich wisse, wovon sie sprechen. Hans, der in der kurzen Zeit in der Wohnung mindestens drei Dosen Bier in sich reingeschüttet hatte, setzte sich ans Steuer und Franz lief um das Auto herum und sprang in den Wagen, der schon losrollte, bevor er auf dem Beifahrersitz Platz genommen hatte. RICO lag leblos im Kofferraum.
Ich kann nicht mehr. Es ist vier Uhr in der Früh. Ich lege mich jetzt hin und versuche, zwei, drei Stunden zu schlafen. Draußen geht das Leben schon wieder los. Die gut gelaunten Busse. Ich lege mich jetzt in dieses plüschige Pensionsbett und
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