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Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht

Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht

Titel: Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Moor
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|7| Trucker
    Alles läuft rund auf meiner Fahrt ins neue Leben: Mein Jeep arbeitet die Hunderte von Kilometern Autobahn souverän unter sich
     weg, die beiden großen Berner Sennenhündinnen pennen schicksalsergeben auf der Ladefläche hinter mir, und sogar die Katzen
     haben sich mit der Tatsache abgefunden, unwürdig in Käfigen transportiert zu werden.
    Der große Hänger mit den nötigsten Habseligkeiten für die ersten Wochen, den ich seit 800   Kilometern immer wieder sorgenvoll im Rückspiegel überwache, läuft seit einer Stunde wie auf Schienen, ohne Ausbruchsversuche.
     Der Verkehr ist überschaubar auf dem sechsspurigen, brandneu wirkenden Betonband, das mich durch die ostdeutsche Landschaft
     zieht. Der Tempomat synchronisiert mich mit der Reisegeschwindigkeit der großen 5 0-Tonner .
    Easy driving.
    Inzwischen habe ich auch gelernt, dass die Lichthuperei der dicken Brummer, nachdem man sie überholt hat, freundlich gemeint
     ist: «Kannst wieder einschwenken, Kumpel, bist weit genug vor meiner Schnauze.» Und dass man sich für diese Fürsorge artig
     mit |8| kurzem Einschalten des Pannenblinkers zu bedanken hat. Ich fühle mich zugehörig zur mächtigen Flotte der 8 0-km /​h-Beschränkten, die mit hundert Sachen im Schnitt durch die Lande donnern.
    Sogar einen vernünftigen Radiosender habe ich inzwischen gefunden. «Nur für Erwachsene» ist dessen Motto. Da fühle ich mich
     doch angesprochen! Die zwei Moderatoren zerpflücken gerade intelligent und respektlos einen Berliner Stadtrat und dessen Prämienflüge
     in den Urlaub. Die legendäre Berliner Schnauze in Reinkultur. Der Interviewte reagiert erstaunlich schlagfertig für einen
     Lokalpolitiker. Es wird gelacht, obwohl die «Sache an sich» ein Skandal zu sein scheint. Wie wohltuend nach dem zögerlichen
     Um-den-heißen-Brei-herum-Gerede in den Medien meiner Schweizer Heimat.
    Das Frühaufstehen hat sich gelohnt. Vor dem sommerlichen Morgengrauen losgefahren und jetzt gut in der Zeit! Laut Navi werde
     ich die Autobahn um 16   :   00   Uhr endlich verlassen und locker vor fünf im Dörfchen Amerika, Bundesland Brandenburg, planmäßig einlaufen. Perfekt. Die Keksrolle
     von der letzten Tanke ist fast gefuttert, die O-Flasche zu drei Vierteln leer, Benzin noch für 200   km. Der Hintern tut langsam weh, alle Zeichen stehen auf «baldige Ankunft». Ein Schild zieht vorüber: Wickelitz 60   km. Mein Ziel liegt etwa 10   Kilometer weiter.
    Plötzlich will ich die Landschaft, die meine Wahlheimat werden wird, in der ich mir den Rest meines Lebens zu verbringen vorgenommen
     habe, nicht mehr einfach nur vorüberziehen lassen, aus Autobahnsicht, wie ein Ostblock-Tourist. Ich will sie en detail erleben,
     langsamer. Ich programmiere das Navi um: von «schnellste» auf «kürzeste Strecke».
    Der Kilometerfresser-Stress liegt hinter mir. Schmale Straßen jetzt, lange Alleen bis zum Horizont. Wunderbar: offene Landschaft.
     Schlaglöcher auch, aber das hält ja wach. Kleine Dörfer. Ich erreiche |9| Wickelitz. Na ja, gut, das ist nun nicht sooo sehr schön. Alte Garnisonsstadt, viel Kleinindustrie. Angeblich soll hier das
     militärische Strategiezentrum der DDR gewesen sein. Eine Menge SE D-Bonzen . Jetzt: verfallene Fabriken, dann wieder Tankstellen, Baumärkte, Reihenhaussiedlungen, Resopal-Hotels auf den Äckern   – Nachwende-Idylle.
    Ein Wegweiser: Amerika. Eigentlich müsste ich ein Foto machen von diesem gelben Schild mitten in der grünen Landschaft. Es
     wirkt verheißungsvoll   …
    Das Navi rechnet aus: noch acht Minuten bis zu meinem neuen Zuhause.

|10| Blindkauf
    Mein neues Zuhause.
    Das ist aber auch schon alles, was ich weiß. Mein neues Zuhause, das ich mir noch nicht einmal angesehen habe. Das ich blind
     gekauft habe. Ich Wahnsinniger. Ich zwangsverschicke mich selber an einen Ort, vor dem mich jeder vernünftige Mensch gewarnt
     hat:
    Höchste Arbeitslosigkeit Deutschlands. Dumpfe Ossis. Alkoholiker und Neonazis. Die gesunde Bevölkerung flieht. Zurück bleiben
     die Loser, die Alten, die Gescheiterten, die Kaputten. Das vergessene Land. Das Land, welches Kohls berühmten Ausspruch von
     den «blühenden Landschaften» zum Dauerlacher werden ließ. Und da willst du hin? Da war nie was, da wird auch nie was sein,
     und du willst ernsthaft dahin? Du bist bekloppt!
    Die Euphorie von eben weicht dem mir so vertrauten Gefühl vor Theaterpremieren oder wichtigen T V-Auftritten : dem Lampenfieber. Wenn es gut läuft: Triumph.

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