Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht
schuldenfrei auf Schuldenlast gewechselt. Ein
Rückzieher ist schon aus finanziellen Gründen schlicht und ergreifend nicht drin.
Aber was erwartet mich in diesem Ort mit dem Namen, der wie ein Versprechen klingt und von dem ich nur ein paar Bilder im
Internet gesehen habe? Wie werden wir auf diesem Hof, den ich nur von Sonjas Beschreibungen und ein paar schlechten Fotos
vom Makler kenne, wirklich leben? Werden wir scheitern, wie so viele, deren Häuser wir uns angesehen haben? Werden wir, wie
sie, in ein paar Jahren den Hof desillusioniert und abgekämpft zwangsversteigern müssen? Kein Zuhause mehr haben, dafür den
Arsch voll Schulden? Werden unsere Träume vom Leben auf dem Land den Bach runtergehen – und mit ihnen unsere Liebe? Und was
wird dann aus unseren Tieren?
Ach du lieber grüner Heinrich, in was für ein Riesending haben wir uns da bloß hineinmanövriert!
|20| Orientierungsverlust
Uuups, Vorsicht, die Bäume dieser schmalen Alleen stehen aber dicht an der Straße! Ich konzentriere mich wieder aufs Fahren.
Keine Zeit jetzt für schwermütige Gedanken … Ich bin noch an die Sonntagsfahrerstraßen der Schweiz gewöhnt. Glatter Teer selbst auf den entlegensten Feldwegen, Tempolimits
vor jeder Kurve, weiß reflektierende Linien entlang allen, aber auch wirklich allen Straßenrändern.
Hier hingegen rumpelt es heftig, das Land wuchert fließend in den brüchigen Asphalt, die Kurven kommen ohne Vorankündigung
und plötzlich doch enger als gedacht. Ulkige Warnschilder: ein Comic-Autochen, einen Baum frontal küssend. Sehr nett. In meinem
Heimatland hat man in den Sechzigern fast sämtliche Alleen mit Schweizer Gründlichkeit ausgerottet. Jetzt sind die Straßen,
auch über den Rand hinaus, «sauber», und kein böser Baum kann den Autochen etwas antun.
Momo und Zora, die beiden Sennenhündinnen, spüren, dass wir uns einem Ziel nähern. Sie äugen aufmerksam durch die Scheiben,
wedeln mit den Schwänzen. Es gefällt ihnen, was sie jetzt sehen, |21| nach Stunden auf der Autobahn, was sie riechen, selbst noch durch die Filter der Klimaanlage. Wir tauchen in einen Waldweg
ein.
Seltsam, das ist doch keine Verbindungsstraße zwischen zwei Orten? Dazu ist sie viel zu schmal. Wenn sich hier zwei Fahrzeuge
kreuzten, wären beide nur noch mit den linken Rädern auf befestigter Straße. Aber es kommt uns keiner entgegen. Was ja wieder
seltsam ist. Da stimmt doch was nicht! Das Navi jedoch hält unerschütterlich an dieser Route fest. Noch drei Minuten bis Amerika.
Scheiße, nein!
«Brücke gesperrt, keine Durchfahrt» – das Schild hängt an einer rot-weiß lackierten Holzlatte, die das Sträßchen in Hüfthöhe
absperrt. Ich traue meinen Augen nicht. Wo war das Warnschild?, fragt der kleine Schweizer in mir. Wo die Sackgassen-Tafel?
Wo der Vor-Wegweiser und der Vor-vor-Wegweiser, der den geschätzten Automobilisten rechtzeitig über die Versperrung seines
Weges informiert? Wo das Schild für die Umleitung? Wo die freundlichen Polizisten, welche neben dem rot-weiß lackierten Volvo
vor der rot-weiß lackierten Holzlatte mit ihren rot-weißen Leuchtstäben zu winken haben, damit man schon von weit, weit her
sehen kann: «Aha, da ischt öppis.» Und die einem dann exaktestens Auskunft geben, warum, wie lange, wegen wem und ab wann
dann sicher wieder nicht die Brücke «zu ischt» und wie man das Problem umfahren kann:
«Einfach da vorne links reinheben und dann den Schildern nach bis zum Waldrand, durch das Wohnquartier – Achtung, da isch dann nur dreißig, hä –, und dann sind Sie in Amerika. Tut uns leid, hä. Aber die Brücke ist nur noch 99,99 Prozent sicher, drum müssen wir vorsichtshalber, bis der Kantons-Chefstatiker sein Gutachten, oder. Es geht ja auch um Ihre
eigene Sicherheit, oder. Wenn Sie sich verfahren sollten, fragen Sie einfach einen der 200 Pfadfinder, die wir vorsorglich im Wald verteilt haben, damit, falls sich einer |22| verfährt, der die dann fragen kann, hä. Tut uns also leid, gäll, dass Sie jetzt 30 Sekunden später in Amerika sind, wenn Sie wollen, hier ischt das Beschwerdeformular wegen dem Schadenersatz und dem Benzinkostenanteil.
Schönen Tag noch, geht das Wenden mit dem Anhänger, oder sollen wir den Bergepanzer anfordern, wäre kein Problem, der steht
gleich da drüben bereit mit vorsorglich vorgewärmtem Motor.»
Wo sind die Helfer, die Ratgeber, die Vor
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Sorger und die Be-Sorgten, die von Amts wegen
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