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Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht

Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht

Titel: Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Moor
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«Das
     Gewitter!!!» Ich steige aus, jetzt seh ich’s auch: Nicht meine geschundene Seele hat die Welt verdunkelt, eine schwarze Wolkenwand
     schiebt sich in rasendem Tempo vor den großen blauen Himmel Brandenburgs. Schwefeliges, dunkelgelbes Licht verleiht der Szenerie
     eine solche Unwirklichkeit, dass ich dem Drang nicht widerstehen kann, mich zu kneifen, um aufzuwachen.
    «Ditaaaa, mach dir keine Sorgen, die Milhoffs sind noch nicht ganz ausgezogen, aber wir können trotzdem schon hier schlafen.»
     Sonja umarmt mich heftig, schaut mich tapfer lachend an. Aber ich kenne sie: Ihr ist eigentlich zum Heulen. «Das ist aber
     nett von den |28| Milhoffs, dass sie uns in unserem Haus schlafen lassen», will ich meinem Zynismus freien Lauf lassen, aber Sonja drückt sich
     ganz fest an mich. Ich begreife: kein Platz für zynische Ansprachen.
    Sie lässt mich los. «Das Pferd und die Eselchen, das Gewitter, sie müssen in den Stall, sonst drehen die durch, sie kennen
     die Weide noch nicht.»
    «Was, die sind schon da?»
    «Ja, es geht ihnen gut, aber sie sind noch verwirrt. Sie müssen in den Stall, bevor hier die Hölle losbricht.»
    «Aber im Stall sind schon andere Pferde.»
    «Die müssen auf die Weide, und unsere müssen da rein. Schnell, hilf!»
    In mir erwacht der Höhlenmensch. Weibchen in Not! Hab und Gut in Gefahr! Das liebe Vieh bedroht! Sämtliche Beschützergene,
     die seit Jahrmillionen in jedem Mann ungenutzt vor sich hin schmoddern, sind mit einem Schlag geweckt. Die körpereigene chemische
     Keule schlägt zu. Adrenalin, literweise. Auto vollends auf den Hof fahren, Gefängnistor zu, Hunde aus dem Auto lassen. (Bitte
     die ausgeklügelte Reihenfolge zu beachten!) Die Hunde flippen aus vor Freude, als sie Sonja begrüßen. Aber keine Zeit für
     rührende «Familien-Wiedervereinigungs»-Szenen.
    Ein älteres, etwas verhuschtes Ehepaar nähert sich. «Herr Moor, darf ich Ihnen meine Frau vorstellen   …»
    Keine Zeit für gepflegte Konversation zwischen Vorbesitzer und Besitzer. «Später, sind das Ihre Pferde? Die müssen weg, unsere
     müssen in den Stall», gebe ich Sonjas Plan papageienhaft weiter.
    «Aber   …»
    «Schnell, helfen Sie!», unterbreche ich. Das «Aber dalli, zack, zack», das ich gerne nachgeschossen hätte, kann ich mir knapp
     verkneifen.
    Während wir Milhoffs arme Gäule (warum zum Teufel sind die |29| überhaupt noch hier?) aus ihrem Stall führen, bricht der Regen los. Was heißt hier Regen – die Sintflut. Taubeneiergroße Tropfen
     explodieren zu Milliarden auf dem Katzenkopfpflaster des Hofes. In Zehntelsekunden sind wir so durchnässt, als wären wir der
     Pfuhle entstiegen. Donnergrollen. Am Horizont eine beachtliche Light-Show aus kreuz und quer über den schlammfarbenen Himmel
     zuckenden Blitzen. Es geht um Minuten, das Inferno nähert sich rasend schnell.
    Die edlen Araber der Milhoffs traben aufgeschreckt auf ihre Koppel. Tor zu, jetzt unsere Eselchen. Einmal mehr begeistert
     mich ihre Intelligenz. Als ob sie wüssten, was es gilt, rufen sie mich mit ihrem langgezogenen Wehgeschrei. Unsere wunderschöne
     Quarter-Horse-Schimmelstute zieht trabend beschützende Kreise um ihre kleine Herde. Koppel öffnen, Begrüßung, und als ob wir
     es für «Stars in der Manege» geübt hätten, traben sie hinter uns her, direkt und ohne jedes Zögern in den Stall!
    In derselben Sekunde: Krawummmm!!!
    Die Hölle bricht los. Blendend helle Blitze machen fast blind, das ohrenbetäubende Trommelfeuer des krachenden Donners taub.
     Der Regen prasselt so intensiv, wie ich es selbst in den Tropen nie erlebt habe. Die Natur führt Krieg. Die Götter sind zornig.
     Wenn dieser Empfang ein Zeichen von ihnen ist, unser neues Leben in Brandenburg versinnbildlichend, dann gute Nacht.
    Was ich aber jetzt durch die Wasserwände schemenhaft sehe, rührt und empört mich zugleich. Die alten Milhoffs und ein etwas
     jüngeres Paar   – Helfer oder Familie, wer weiß das schon – tragen gerade ihren ganzen Krempel wieder ins Haus zurück. In
unser
Haus! In das Haus, in das doch
unser
Krempel soll!
    Klar, sie versuchen, die Sachen aus dem Regen zu schaffen. «Warten Sie, um Himmels willen, wir helfen!» Sonja und ich packen
     mit an, schleppen das Zeug aber nicht ins Haus, sondern in die Scheune, |30| in der es, trotz des schadhaften Daches, einigermaßen trocken ist. Es ist ein Wettlauf um Territorium: Jedes Milhoff-Ding,
     dessen wir habhaft werden, ist ein Ding weniger, das wieder in

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