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Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht

Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht

Titel: Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Moor
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hier sein müssten?
    Und wo ist eigentlich diese Brücke?
    Ich steige aus. Die Hunde bellen. «Also gut, raus mit euch.» Wir verharren. Lauschen der Stille. Kein Autobahngedröhne in
     der Ferne. Kein Motorsägengeknattere. Keine fröhlich Lieder trällernde Wandergruppe. Keine sich in ihrem typischen Schreiton
     unterhaltenden Cross-Road-Biker. Einfach Stille. Ich höre sogar mein Blut in den Ohren rauschen. Nicht mal das Plätschern
     des Baches   …
    Ach so ja, die Brücke, wo ist sie? Vorsichtig, um ja nichts zum Einsturz zu bringen, tauche ich unter der Sperrlatte durch
     und wage einige zögerliche Schritte. Keine Brücke zu sehen. Auch hundert Meter weiter nicht. Wenn ein Schild ankündigt, die
     Brücke sei gesperrt, muss es doch eine Brücke   …
    Erst als ich zum Jeep zurückgehe, sehe ich sie, die «Brücke». Eine unter dem Laub von Jahren kaum wahrnehmbare Betonplatte,
     vielleicht drei Meter lang, neben der das Gelände tatsächlich jäh in die Tiefe abfällt: gut und gerne 40   Zentimeter. Kein Schaden zu erkennen. Kein Grund, da nicht drüberzufahren. Ich müsste nur diese Sperrlatte aus der Verankerung,
     die ist ja nicht mal ordentlich befestigt. Kein Mensch weit und breit   …
    «Obacht!», ruft der kleine Schweizer in mir. «Es muss einen Grund haben, dass hier gesperrt ist. Vielleicht liegen Blindgänger |23| vom Krieg unter der Betonplatte, und sie wollten das so nicht aufs Schild schreiben, um Panik zu verhindern.»
    Ich hole Rat beim Navi. Zurückfahren würde bedeuten   … ja, das gibt’s doch nicht, Umweg 40   Kilometer, 45   Minuten? Dazu bin ich nicht bereit. Nein, definitiv nicht. Nicht mit mir, Freunde, mit mir nicht. Ich muss unbedingt in Amerika
     sein, bevor der Tiertransport eintrifft. Ich kann meine Sonja nicht ganz alleine die Tiere abladen und Stall und Weide einrichten
     lassen. Das schafft sie nicht. Ich werde gebraucht! Und ich akzeptiere nicht, dass ich nach 800   Kilometern   … Also ich protestiere energisch! Genauer: Ich fluche. In den stillen Wald hinein. Die Hunde sehen mich verwirrt an. Warum
     bellt das Alphatier so ängstlich in diesem verheißungsvollen Paradies?
    Der kleine Schweizer in mir gewinnt. Man fährt
nicht
über eine amtlich gesperrte Betonplatte, nein, das macht man einfach nicht.
    «Momo, Zora, rein mit euch!»
    Mühsam wende ich Jeep samt Hänger auf dem schmalen Sträßchen. Ich bin dennoch nicht willens, diesen idiotischen Umweg zu nehmen.
     Wozu habe ich schließlich einen Geländewagen? Ich fahr einfach auf Forstwegen. Nach Kompass, das ist auf jeden Fall schneller.
     Da vorne kühn links rein ohne langes Federlesen, wie die Schweizer Polizisten geraten haben – geraten hätten, wenn die Brücke
     in der Schweiz wäre. Los geht’s Richtung Amerika. Hurra mit Gebrüll, wir kommen, wir eilen, wir fliegen!
    Im Schritttempo.
    Der Forstweg wird nach fünf Minuten zum Forstweglein, nach sechs Minuten zum Fußweg, nach vier Minuten zum schmalen Fußweg,
     dann zum Trampelpfad, und endlich zu   … nichts. Ende, Sackgasse. Diesmal richtig. Ein Forstweg, der einfach aufhört. Das gibt es doch nicht! Forstwege münden IMMER
     in andere Forstwege, die in Forststraßen münden, die in Landstraßen münden, die |24| in Bundesstraßen münden, die in Autobahnen münden. So hat das zu sein! Wo ist der Sinn eines Weges, der, bevor er in einen
     anderen Weg einmündet, einfach aufhört, ein Weg zu sein – mitten im Wald?
    Die uralten Eichen und Buchen absorbieren meine Schweizer Kraftausdrücke stoisch in ihrem Laub. Jetzt haben die Hunde ganz
     viel Grund, mich verwirrt anzuschauen, und der Wald ist überhaupt nicht mehr still. Ich stelle mir ein Wildschwein als Zeuge
     der absurden Szene vor. Es grunzt ein altes Liedchen vor sich hin:
    Ein Schweizer steht im Walde nicht still und stumm,
    er hat ein purpurn Köpfchen und schaut gar dumm.
    Das tu ich wirklich. Ich sitze in der Falle! Wenden ist hier völlig unmöglich mit dem Hänger. Das Auto stehenlassen und zu
     Fuß nach Amerika, wie es Indiana Jones gemacht hätte, geht aus zweierlei Gründen nicht. Der Kompass ist im Armaturenbrett
     verankert, nicht herausnehmbar. Und die Katzen? Die kann ich ja unmöglich einfach hier zurücklassen. Und selbst wenn ich Amerika
     erreichen würde: Wie fände ich jemals zum Auto zurück in diesem forstweglosen Dickicht ohne Wegweiser? Und ohne Schweizer
     Pfadfinder? Die einzige Option: zurückschieben, samt dem monströsen Hänger. Nicht im Schritttempo,

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