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Was wir sind und was wir sein könnten: Ein neurobiologischer Mutmacher (German Edition)

Was wir sind und was wir sein könnten: Ein neurobiologischer Mutmacher (German Edition)

Titel: Was wir sind und was wir sein könnten: Ein neurobiologischer Mutmacher (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerald Hüther
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anderen, die zu dieser Gemeinschaft dazugehören, mit denen sie sich so eng verbunden fühlen.
    Und weil die Mitglieder einer solchen Gemeinschaft von gleichartig Angepassten auch immer vor sich selbst und vor anderen begründen müssen, weshalb sie gar nicht anders sein können als so, wie sie sind, suchen sie nach objektiven und für jeden anderen einsichtigen Erklärungen für ihr eigenes Verhalten.
    Wie diese Begründungen aussehen und wer sie liefert, wollen wir uns im nächsten Kapitel etwas genauer anschauen.

4.
    Was haben wir uns alles eingeredet?
Warum können wir unsere Vorstellungen, worauf es im Leben ankommt, einander nicht einfach nur erzählen, ohne andere auch gleich dazu überreden zu wollen, sich unseren Ideen anzuschließen und womöglich gar dafür zu kämpfen, dass sie Wirklichkeit werden? Weshalb müssen wir uns mit unseren eigenen Ideen immer wieder so sehr identifizieren, dass sie unser gesamtes Denken, Fühlen und Handeln bestimmen?
Weshalb versuchen wir auch noch als Erwachsene so zu leben, wie andere das von uns erwarten? Wie lange wird es noch dauern, bis wir endlich uns selbst und jeden anderen in seiner Einzigartigkeit zu sehen und anzuerkennen imstande sind?
Wie lange wollen wir noch als Anhänger irgendwelcher Vorstellungen und als Verfechter irgendwelcher Ideen herumlaufen, die sich andere Leute ausgedacht haben?
    Eine besonders beliebte und im letzten Jahrhundert stark verbreitete Vorstellung, mit der sich auf den ersten Blick sehr gut erklären ließ, weshalb Menschen dazu neigen, verschiedene Gruppen zu bilden, die sich für irgendetwas ganz besonders interessieren, war der Hinweis auf die unterschiedlichen genetischen Anlagen, die wir in uns tragen. Diese genetischen Programme sollten Menschen dafür prädestinieren, manches besser, anderes schlechter zu können, unterschiedliche Interessen zu haben und sich deshalb für manches mehr, für anderes weniger zu begeistern. Seitdem nun das menschliche Genom sequenziert worden ist und keine Gene gefunden wurden, die darüber bestimmen, wofür wir uns interessieren, werden neuerdings bestimmte Nervenzellverknüpfungen im Gehirn dafür verantwortlich gemacht. Und mit Hilfe funktioneller Kernspintomographie lässt sich ja auch wirklich zeigen, dass es im Hirn eines Briefmarkensammlers ganz anders flackert, dass dort also ganz andere neuronale Netzwerke aktiviert werden als im Gehirn eines Fußballfans, wenn man beiden entweder die Ergebnisse der letzten Bundesligaspiele oder eine blaue Mauritius vorzeigt. Beim Betrachten der Briefmarke passiert im Gehirn des Fußballfans so gut wie nichts.
    Und wenn es nicht irgendwelche Bereiche im Gehirn sind, dann sind es angeblich eben die Hormone, die Menschen dazu bringen, sich so oder anders zu verhalten und sich für dieses oder jenes stärker zu interessieren und zu begeistern. Testosteron macht Männer aggressiv und Oxytocin macht Frauen kuschelig. Wir lieben einfache Erklärungen, vor allem solche, die uns suggerieren, etwas anderes als wir selbst sei dafür verantwortlich, dass wir so sind, wie wir sind.
    Niemand kann einen anderen Menschen daran hindern, sich selbst zum Produkt seiner genetischen Anlagen zu erklären oder sein Handeln mit seinen Hirnaktivitäten und Hormonausschüttungen zu begründen. Allerdings macht sich jeder, der sich so betrachtet oder eine solche Zuschreibung übernimmt, selbst zum Objekt. In seiner eigenen Überzeugung ist er dann etwas, das von einer anderen Instanz, also von seinen genetischen Anlagen oder von seinen Genen, den Hormonen oder den Aktivitätsmustern in seinem Gehirn gesteuert wird. Er ist so, wie er ist, weil er zu dem, was er ist, gemacht worden ist. Von da an gibt es dann freilich auch nichts mehr an sich selbst zu entdecken. Fortan kann man lediglich noch immer weiter und immer eingehender erforschen und beschreiben, wie dieses Objekt, zu dem man sich selbst erklärt hat, beschaffen ist. Man kann untersuchen, wie es funktioniert, woraus es sich zusammensetzt, was man mit ihm und aus ihm machen oder eben nicht machen kann. Aber eines verhindert diese Art, sich selbst zu denken, mit absoluter Sicherheit: nicht nur, dass wir Verantwortung für uns selbst übernehmen, sondern auch, dass wir uns selbst erkennen und entdecken können. Denn beim Erkennen und beim Entdecken handelt es sich ja um einen Prozess. Wenn man nun im Verlauf dieses Prozesses an irgendeiner Stelle meint, erkannt oder entdeckt zu haben, weshalb man so ist, wie man ist, dann ist es

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