Was wir sind und was wir sein könnten: Ein neurobiologischer Mutmacher (German Edition)
verbunden sind, dass man sich nicht von ihnen lösen kann, ohne »sein Herz zu zerreißen«, so heißt das eigentlich nur, dass an diesen Vorstellungen Gefühle hängen, dass unsere Vorstellungen, damals, als sie entstanden sind, an Gefühle gekoppelt worden sind, die sich nun nicht so ohne weiteres wieder davon abtrennen lassen. Deshalb schmerzt es so sehr, macht es uns wütend oder traurig, zerreißt es manchen sogar das Herz, wenn sich diese Ideen als falsch oder als nicht länger haltbar erweisen. Vor allem Politiker, Wissenschaftler und wohl auch manche anderen Weltverbesserer kennen diese Schmerzen zur Genüge.
Unsere Erfahrungen bestimmen unsere Bewertungen
Der Begriff »Vorstellung« oder »Überzeugung« betont lediglich etwas stärker den kognitiven Anteil von Erfahrungen. Er beschreibt aber letztlich nichts anderes als die Summe oder das Integral der in einem bestimmten Kontext (der Schule, der Arbeit, in Partnerschaften etc.) gemachten Erfahrungen. Er gleicht damit dem, was wir mit den stärker körper- und damit auch gefühlsbezogenen Begriffen »Haltung« und »innere Einstellungen« bezeichnen.
Körperliche Haltungen sind im Körper, in der körperlichen Struktur verankerte (»embodied«) Erfahrungen. Innere Haltungen und Einstellungen sind im Gehirn verankerte, mit emotionalen Netzwerken gekoppelte, integrierte Erfahrungen. Diese einmal erworbenen Haltungen (Einstellungen, Überzeugungen, Vorstellungen, Ideen), nicht das auswendig gelernte Wissen bestimmen darüber, wie und wofür ein Mensch sein Gehirn benutzt, wie er sich in bestimmten Situationen »verhält«.
Entscheidend dafür, was eine Person von der Welt wahrnimmt, worum sie sich kümmert, was sie als bedeutsam erachtet, wie sie sich äußert oder verhält – und damit wie und wofür sie ihr Gehirn benutzt –, sind nicht die objektiven Gegebenheiten, sondern die jeweilige subjektive Bewertung dieser Gegebenheiten durch die betreffende Person. Und die wird eben sehr maßgeblich bestimmt durch die von dieser Person im Lauf ihres bisherigen Lebens gemachten Erfahrungen und die daraus entstandenen inneren Einstellungen, Haltungen und Vorstellungen.
Die wichtigsten Erfahrungen machen Menschen immer dann, wenn sie gezwungen sind, bestimmte Probleme eigenständig zu bewältigen. Dabei eignet sich jeder Mensch neben bestimmten Fähigkeiten und Fertigkeiten auch Wissen an, das er für die Lösung künftiger Probleme nutzen kann. Das funktioniert umso besser, je häufiger eine Person mit unterschiedlichen Problemen konfrontiert ist, mit Problemen, die sie betroffen machen, die sie innerlich aufwühlen, emotional berühren und die gelöst werden müssen. Immer dann, wenn es zu einer solchen Störung des emotionalen Gleichgewichts kommt, werden im Gehirn tieferliegende Zentren aktiviert und bestimmte Botenstoffe ausgeschüttet, die dazu beitragen, all jene Nervenzellverschaltungen zu festigen und zu stabilisieren, die von der betreffenden Person zur Lösung des Problems und damit zur Wiederherstellung ihres emotionalen Gleichgewichtes besonders intensiv benutzt werden.
Welche Prozesse im Zuge einer solchen Störung des emotionalen Gleichgewichts aktiviert werden und welche langfristigen neuronalen Veränderungen dadurch ausgelöst werden, hängt davon ab, wie jeder für sich ganz individuell die jeweilige Belastungssituation bewertet, d.h. welche Vorerfahrungen beim Versuch der Bewältigung ähnlicher Probleme bereits gemacht worden sind.
Vor einigen Jahren habe ich mit zwei Doktorandinnen eine Studie an einer Gruppe von Frauen durchgeführt, die zu einer dreiwöchigen Fastenkur in eine Fastenklinik gekommen waren. Wir wollten herausfinden, ob es im Verlauf dieser Fastenkur zu einer emotionalen Stabilisierung kommt. Wir wussten aus der Literatur und aus Berichten von Menschen, die so eine Fastenkur gemacht hatten, dass etwa ab dem dritten Fastentag das Hungergefühl verschwinden und sich ein fast euphorischer Zustand einstellen soll. Man ruhe dann stärker in sich selbst, sei ausgeglichener, auch offener und wahrnehmungsfähiger, gleichzeitig toleranter und kreativer. Und am Ende einer solchen Fastenzeit fühle man sich wie neugeboren. Um das messbar zu machen, bestimmten wir bei diesen Frauen in der Fastenklinik die nächtliche urinäre Kortisolausscheidung, die Frauen sammelten also jede Nacht ihren Urin, in dem dann der Kortisolgehalt gemessen wurde.
Die Ausschüttung des Stresshormons Kortisol in der Nacht sollte sich verringern, wenn der
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