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Was wir sind und was wir sein könnten: Ein neurobiologischer Mutmacher (German Edition)

Was wir sind und was wir sein könnten: Ein neurobiologischer Mutmacher (German Edition)

Titel: Was wir sind und was wir sein könnten: Ein neurobiologischer Mutmacher (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerald Hüther
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Stress und die emotionale Belastung während dieser Fastenzeit geringer werden. Das war unsere Hypothese. Als wir die Messdaten aller Frauen zusammenstellten, wurde deutlich, dass es bei manchen Frauen durchaus zu diesem Abfall der Kortisolausscheidung im Verlauf der Fastenperiode gekommen war. Dafür gab es aber auch fast ebenso viele, bei denen die Kortisolausscheidung in diesen drei Wochen immer weiter angestiegen war. Im Mittel über alle war gar nichts mehr erkennbar.
    Als wir dann noch einmal in der Klinik nachfragten, stellte sich heraus, dass etwa die Hälfte der Frauen dieser Fastengruppe sogenannte freiwillige Faster waren, die sich schon auf die Fastenkur gefreut hatten. Die andere Hälfte war von irgend jemandem zum Abspecken dorthin geschickt worden. Bei diesen war dann der Kortisolspiegel angestiegen, sie hatten sich die ganze Zeit aufgeregt, und dieser Ärger hatte den ganzen Beruhigungseffekt des Fastens so sehr überlagert, dass sie am Ende nicht ausgeglichener, sondern noch gestresster waren als vorher.
    Alles war für die Teilnehmerinnen dieser Fastenkur gleich: die schöne Klinik, das freundliche Personal, die netten Zimmer und die Gemüsesäfte, die sie anstelle von etwas Essbarem bekamen. Nur die Bewertung war in beiden Gruppen diametral verschieden, weil beide aus anderen Gründen und mit anderen Vorstellungen in diese Fastenklinik gekommen waren.
    Diese Untersuchung zeigt auf sehr eindringliche Weise, dass es nicht die »Umwelt« oder die »Maßnahme« ist, die darüber bestimmt, was im Gehirn und im Körper eines Menschen passiert, sondern seine Bewertung. Wie ein Mensch etwas bewertet, hängt von den Vorstellungen, den inneren Einstellungen und Überzeugungen ab, die der betreffende Mensch hat. Und diese Vorstellungen und Überzeugungen sind das Ergebnis seiner jeweiligen, im bisherigen Leben gemachten Erfahrungen.

Irren ist menschlich
    Die Erfahrungen, die wir Menschen im Laufe unseres Lebens machen, werden also in Form bestimmter neuronaler Verschaltungsmuster in unserem Gehirn verankert. Wichtige und häufig gemachte Erfahrungen hinterlassen gewissermaßen eingefahrene Spuren im Gehirn, die unsere Wahrnehmung, unser Denken, Fühlen und Handeln bestimmen und uns auf diese Weise immer wieder zu einer ganz bestimmten Art und Weise der Benutzung unseres Gehirns zwingen. Durch das, was die Hirnforscher »nutzungsabhängige Plastizität« nennen, entstehen so aus anfänglich noch sehr labilen Nervenwegen allmählich immer breitere Straßen und – wenn man nicht aufpasst – womöglich gar fest betonierte Autobahnen. Auf denen kann man dann unter Umständen mit rasanter Geschwindigkeit vorankommen, aber leider führen sie bisweilen in die falsche Richtung. Es ist dann meist sehr schwer, von solchen erfolgsgebahnten Highways im eigenen Hirn wieder herunterzukommen. Manchmal bedarf es dazu einer neuen Erfahrung in Form einer persönlichen Krise. Aber nichts ist so schwer wie das Eingeständnis, dass man sich völlig verrannt hat. Nur selten findet man in solch krisenhaften Situationen eine konstruktive Lösung.
    Um den Einklang zwischen sich und der ihn umgebenden Welt herzustellen, kann ein Mensch versuchen, nicht mehr so viel an störenden Einflüssen aus dieser Welt wahrzunehmen. Dazu muss er sich stärker verschließen, sich abwenden und unsensibler gegenüber allem werden, was auf ihn einstürmt und was er zu bewältigen außerstande ist. Er wird so in sich gekehrt, der Welt zunehmend fremd und gerät in Gefahr, das zu verlieren, was er für sein Überleben ebenfalls braucht: die Beziehung zu einer sich immer wieder verändernden Außenwelt, damit die Regelmechanismen zur Aufrechterhaltung seiner inneren Ordnung nicht verkümmern. Er kann auch versuchen, diese ihn störenden und ihn in ihrer Veränderlichkeit immer wieder bedrohenden Einflüsse aus seiner ihn umgebenden Welt unter Kontrolle zu bringen. Dazu muss er seine Welt – und das sind immer die anderen Menschen, die ihn durch ihre Aktivitäten, ihre Wünsche, Forderungen und Wirkungen bedrohen – zu beherrschen suchen. Er muss Macht ausüben, die anderen zwingen oder sie mit subtileren Mitteln dazu zu bringen, sich so zu verhalten, wie es ihm gefällt. Er wird auf diese Weise hart und rücksichtslos und unsensibel und gerät ebenfalls in Gefahr, in der von ihm nach seinen Maßstäben geschaffenen Welt Lebenswichtiges zu entbehren: neuartige Impulse von außen, um die Regelmechanismen zur Aufrechterhaltung seiner inneren Ordnung

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