Was wir sind und was wir sein könnten: Ein neurobiologischer Mutmacher (German Edition)
wenngleich nach wie vor falschen Vorstellung über das, was Krankheit ist, auseinander. Der Rest ist programmiert: Die Symptome treten entweder erneut oder an anderer Stelle wieder auf. Irgendwann ist der Maschinist am Ende seiner Kunst und der Patient, tief erschüttert in seinem festen Vertrauen, wechselt den Arzt, einmal, zweimal, dreimal, traut am Ende keinem mehr und landet unter Umständen bei einem Wunderheiler. Der schafft womöglich sogar das Erhoffte und entlässt den Patienten mit einer modifizierten, aber noch immer gleichermaßen falschen Vorstellung von Krankheit. Das Fühlen, Denken und Handeln eines solchen Patienten bleibt nach wie vor bestimmt von der in seinem bisherigen Leben immer wieder gemachten Erfahrung, dass (fast) alles, was ihm wichtig, lieb und teuer ist (sein Auto, sein Videorecorder, seine Waschmaschine etc.), wenn es einmal nicht mehr funktionierte, prinzipiell wieder zu reparieren war. Dieses für Maschinen gültige Reparaturdenken wurde zeitlebens gebahnt und gefestigt, und es wird sich nicht auflösen, solange sich immer wieder jemand findet, der verspricht, den betreffenden Menschen und alles, was ihm wichtig ist, falls erforderlich, zu »reparieren«.
Zwischen den Anbietern derartiger Reparaturleistungen und ihren Kunden besteht deshalb eine wechselseitige Abhängigkeit. Der Therapeut braucht Patienten, die daran glauben, dass er sie reparieren, also wieder gesund machen kann. Und die Patienten brauchen Therapeuten, die ihre Erwartungshaltung erfüllen, dass ein Profi mit den richtigen Techniken und den richtigen Medikamenten ihre Pumpe oder ihr Gelenk oder ihr Gehirn wieder zum Funktionieren bringt. Je mehr die Patienten in diesem Reparaturdenken gefangen bleiben, umso stabiler ist die Nachfrage nach entsprechenden Reparaturleistungen und umso besser sind die Verdienstmöglichkeiten für die Vertreter dieser Reparaturmedizin.
Niemand, auch keine noch so clevere Vermarktungsabteilung der Gesundheitsindustrie, kann Menschen dazu bringen, sich selbst als Maschinen zu betrachten, die repariert werden können, wenn sie kaputt sind. Das ist ja eine innere Überzeugung, eine Einstellung zu sich selbst. So eine Vorstellung übernimmt man vielleicht von jemandem, der einem besonders wichtig ist, mit dem man sich emotional verbunden fühlt, also von den eigenen Eltern beispielsweise. Aber wie sind die oder deren Eltern auf so eine Idee gekommen? Um eine solche Vorstellung so nachhaltig im Gehirn zu verankern, muss es bei den Vertretern vorangegangener Generationen zu einer Aktivierung ihrer emotionalen Zentren im Gehirn gekommen sein, wenn sie wieder einmal erlebten und über das staunten, was Maschinen alles konnten. Und tatsächlich braucht man nur wenige Berichte über die Errungenschaften des Maschinenzeitalters aus der damaligen Zeit zu lesen, um zu begreifen, mit welchem Enthusiasmus die Einführung der Dampfmaschinen, der Eisenbahn, des Autos, des Telefons, der Flugzeuge, Waschmaschinen oder Dampfbügeleisen in den Medien damals gefeiert worden sind. Fast alle müssen damals davon fasziniert gewesen sein, dass diese Maschinen etwas zu leisten vermochten, wozu kein Mensch imstande war. Man bewunderte diese Maschinen und man begeisterte sich dafür. Dadurch kam es im Hirn der Menschen damals, häufiger als wir uns das heute vorstellen können, zur Aktivierung der emotionalen Zentren, die Gießkanne der Begeisterung in ihrem Hirn ging an, und die dabei vermehrt freigesetzten neuroplastischen Botenstoffe sorgten dafür, dass die im Zustand der Begeisterung aktivierten Netzwerke auch gut gedüngt wurden. So wurde die Vorstellung in den Hirnen unserer Vorfahren verankert, dass Maschinen etwas Großartiges sind und sie selbst am liebsten auch wie Maschinen funktionieren würden.
Diese Vorstellung ist von den späteren reparaturmedizinischen Vordenkern und Wegbereitern nur aufgegriffen und genutzt worden.
Ausgedacht hat sie sich niemand. Die noch heute verbreiteten und der Reparaturmedizin bis heute zugrundeliegenden Vorstellungen und Überzeugungen verdanken ihre Herausbildung einzig und allein der Bedeutsamkeit, die Maschinen während der Blütezeit des Maschinenzeitalters für Menschen damals gewonnen hatten. Wenn die Leute diese Maschinen nicht als so bedeutsam erlebt hätten, hätten sie sich auch nicht dafür begeistert, und dann wäre auch in ihren Hirnen nichts weiter davon hängengeblieben.
Jetzt geht das Maschinenzeitalter zu Ende, und damit werden nun auch die alten
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