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Was wir sind und was wir sein könnten: Ein neurobiologischer Mutmacher (German Edition)

Was wir sind und was wir sein könnten: Ein neurobiologischer Mutmacher (German Edition)

Titel: Was wir sind und was wir sein könnten: Ein neurobiologischer Mutmacher (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerald Hüther
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abgewertet oder gar beschämt worden sind.
    Das passiert allerdings meist schneller, als man es für möglich hält. Anfangs versucht jedes Kind lieber auf ein eigenes Bedürfnis zu verzichten, um es der Mama, dem Papa oder dem anderen »recht zu machen«.
    Jedesmal, wenn ihm das gelingt und es sich so verhalten hat, wie es diesem ihm besonders wichtigen Personen gefällt, wie sie es von ihm erwarten, geht im Hirn des betreffenden Kindes die Begeisterungsgießkanne mit dem Düngerstrahl an, der die dabei aktivierten Netzwerke und Verschaltungen zum Wachsen bringt. So kann ein Kind zu einem Menschen heranreifen, der es später im Leben allen anderen immer nur »recht machen« will, der womöglich immer dann Angst bekommt, wenn jemand seine als Liebesdienste erbrachten Opfergaben nicht braucht oder nicht haben will.
    Bei all jenen Kindern, denen es beim besten Willen und trotz größter Bemühungen nie so recht gelingt, es der Mama, dem Papa oder sonst wem »recht zu machen«, geht die Düngergießkanne im Hirn zwangsläufig immer dann an, wenn sie es wieder einmal schaffen, sich selbst zu beweisen, dass sie ihre Probleme sehr gut allein, also ohne Mama, ohne Papa oder sonst wen, zu lösen imstande sind. Dann haben sie es denen, mit denen sie bisher so eng verbunden waren, nun endlich einmal richtig gezeigt. Auch darüber kann man sich schon als Kind und später auch noch als Erwachsener sehr begeistern. Und dann bekommt man eben auch ein Hirn, mit dem man anderen Menschen immer besser zeigen kann, wie wenig man sie braucht, dass man nicht mit ihnen verbunden ist, dass man nichts mit ihnen zu tun haben will. Besserwisser, Klugscheißer und Alleskönner haben so ein Gehirn und richten damit in den Gehirnen all jener, die sie abwerten und beschämen, beträchtlichen Schaden an. Weil sie diesen anderen die Begeisterung am eigenen Entdecken und Gestalten rauben.

Von wem wir uns begeistern lassen
    Es ist bemerkenswert, dass wir Menschen in der Lage sind, unsere Lebenswelt und unsere Lebenswirklichkeit so zu gestalten, dass genau das, was unser Leben so faszinierend und bezaubernd macht, also die Freude und Begeisterung an all dem, was dieses Leben an Möglichkeiten bietet, kaum noch vorkommt. Verstehen lässt sich dieses sonderbare Phänomen nur dann, wenn man davon ausgeht, dass Begeisterung nicht immer vorteilhaft für uns ist, dass unsere Begeisterungsfähigkeit auch von anderen ausgenutzt werden kann, um uns dazu zu bringen, etwas zu tun, was wir ohne diese Begeisterung nicht zu tun bereit wären.
    Am Anfang des Lebens sind Kinder nicht nur enorm offen für alles, was es in ihrer jeweiligen Lebenswelt zu entdecken und zu gestalten gibt. Sie haben auch ein sehr feines Gespür für all das, was diejenigen bewegt, mit denen sie sich eng verbunden fühlen. Sie merken sehr genau, was diesen Bezugspersonen wichtig ist, wofür sie sich begeistern, was sie schmerzt und bekümmert und was sie glücklich und zufrieden macht.
    Gerade weil sie noch nicht sprechen können, achten kleine Kinder ganz besonders auf all das, was nicht gesagt wird, was also hinter den Worten verborgen bleibt. So bekommen sie bisweilen mehr mit, als ihre Eltern für möglich halten, und sie erspüren auch das, was diese vor ihnen zu verbergen suchen oder was denen oft selbst nicht bewusst ist.
    Vor ein paar Jahren wurde ein in dieser Hinsicht bemerkenswert aufschlussreiches Experiment durchgeführt. Kleinkinder bekamen im Alter von sechs Monaten drei kurze Trickfilmsequenzen vorgeführt. Zu sehen war zunächst ein kleines gelbes Männchen, das mit einiger Mühe und schnaufend versuchte, einen ziemlich steilen Berg hochzukrabbeln. Anschließend lief die gleiche Sequenz noch einmal, aber diesmal kam dem gelben Männchen eine grüne Figur zu Hilfe, die es von unten schob. So kam das gelbe Männchen leichter den Berg hoch. In der letzten Sequenz tauchte, als das gelbe Männchen sich wieder abmühte, den Berg hochzukrabbeln, eine blaue Figur auf, die es von oben wieder nach unten zurückstieß. Nachdem jedes Kind diese drei Sequenzen gesehen hatte, wurde vor seinem Platz die grüne und daneben die blaue Figur aufgestellt, die es eben im Trickfilm gesehen hatte, und beobachtet, nach welcher dieser beiden Figuren das Kind griff. Alle diese sechs Monate alten Babys nahmen die grüne Figur, den »Unterstützer«. Ein halbes Jahr später wurde das Experiment mit den gleichen, nun ein Jahr alten Kindern wiederholt. Diesmal griffen bereits 10 Prozent dieser Kinder

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