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Was wir sind und was wir sein könnten: Ein neurobiologischer Mutmacher (German Edition)

Was wir sind und was wir sein könnten: Ein neurobiologischer Mutmacher (German Edition)

Titel: Was wir sind und was wir sein könnten: Ein neurobiologischer Mutmacher (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerald Hüther
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Dressurverfahrens ist der Eselstreiber. Der hat ein Misserfolgserlebnis nach dem anderen und das Einzige, worüber er sich dann noch begeistern kann, ist die Feststellung, dass alle anderen, die mit dem gleichen Verfahren unterwegs sind, damit auch nicht besser vorankommen.
    Aber eine Zeitlang, vor allem im letzten Jahrhundert, hat dieses Verfahren ziemlich gut funktioniert. Herausgekommen sind dabei Menschen, die all das mit hoher Perfektion und Präzision umgesetzt haben, was von ihnen erwartet wurde, wofür sie mit Belohnungen oder Bestrafungen abgerichtet worden waren. Solche Menschen wurden im Maschinenzeitalter gebraucht, um die damals noch sehr stark von menschlichen Handlungen abhängige maschinelle Produktion von Konsumgütern zu optimieren. Um das zu ermöglichen, mussten die Menschen, die diese Maschinen bedienten, dazu gebracht werden, genauso zuverlässig zu funktionieren wie ihre Maschinen. Genauso pünktlich, genauso akkurat, genauso fehlerfrei, genauso pausenlos und genauso gedankenlos. Da konnte man keine Menschen brauchen, die unpünktlich waren, die sich nicht genau an die Bedienungsvorschriften hielten, die selbst mitdenken und ihre Arbeitsabläufe mitgestalten wollten. So etwas behinderte die Produktion. Gefragt waren brave Befehlsempfänger und tapfere Pflichterfüller, und die erzieht man eben am effizientesten durch Dressur. Am besten schon in der Schule. Durch Belohnungen für all jene Zöglinge, die ihre Aufgaben brav und ohne Widerspruch erfüllen. Durch Bestrafungen für diejenigen, die sich diesen Vorgaben zu widersetzen versuchen. Es war ein einfaches Verfahren und es funktionierte umso besser, je früher man bei den Kindern damit begann. Es verdrängte deshalb alle anderen reformpädagogischen oder sonstigen Erziehungsstile und Unterrichtsmethoden und hat sich bis heute in vielen Schulen und auch noch in vielen Familien erhalten. Wer einmal so zu Hause oder in einer Erziehungs- und Bildungseinrichtung abgerichtet wurde, wer das Ganze ausgehalten und wer sein späteres Leben dann auch noch einigermaßen erfolgreich bewältigt hat, ist später als Erwachsener nur schwer von der festen Überzeugung abzubringen, dass dieses Abrichtungsverfahren genau das ist, was alle Kinder brauchen, damit auch sie es zu etwas bringen.
    Der große Nachteil all dieser Dressur- und Abrichtungsverfahren wird allerdings sofort sichtbar, wenn die Belohnungen nicht mehr attraktiv genug sind oder wenn die Bestrafungen nicht mehr mit der Härte und Konsequenz erfolgen, die erforderlich wären, um das gewünschte Ergebnis zu erzielen, oder wenn die Dompteure schlappmachen und die ganze Zirkusnummer ihre einstige Attraktivität verliert.
    Dann klappt nichts mehr. Das erleben wir gegenwärtig in vielen Bereichen unserer Gesellschaft, besonders deutlich in Schulen und Ausbildungseinrichtungen.
    Dann wird offenkundig, dass alle Dressurmethoden lediglich geeignet sind, ein gewünschtes Verhalten zu erzeugen, und das auch nur so lange, wie der Dompteur oder ein internalisiertes Bild des Dompteurs mit seinen Belohnungen und Bestrafungen präsent ist. Wenn der sich umdreht oder auf andere Weise verschwindet, wird das durch derartige Konditionierungen erzeugte Verhaltensmuster nicht aufrechterhalten. Dann wird das Verhalten des betreffenden Menschen wieder so gesteuert, wie dieses Verhalten normalerweise immer gesteuert wird: nicht von außen, sondern von innen. Durch die inneren Einstellungen, die Haltungen des betreffenden Menschen. Aber Haltungen wie Achtsamkeit, Selbstdisziplin, Zuverlässigkeit oder Verantwortlichkeit lassen sich nicht durch Dressurmethoden erzeugen, die kann man weder unterrichten noch trainieren.
    Wer möchte, dass Kinder, Jugendliche und Erwachsene sich solche Haltungen zu eigen machen, müsste ihnen Gelegenheit bieten, den Nutzen von Disziplin, den Nutzen von Verlässlichkeit, den Nutzen von Umsicht und Achtsamkeit zu erfahren. Zu einer solchen Erfahrung kann man aber niemanden zwingen, weder mit dem Versprechen von Belohnungen noch durch die Androhung von Strafen.
    Es gehört nicht viel Phantasie dazu, um vorherzusagen, dass der Eselstreiber mitsamt seinen gut abgerichteten Eseln in allen modernen Gesellschaften ein Auslaufmodell ist. Hier werden nicht länger Menschen gebraucht, die fast so gut wie Maschinen funktionieren, sondern solche, die mitdenken und mitgestalten, die sich einbringen, die Fehler machen, um daraus zu lernen, die mit anderen gemeinsam nach neuen Lösungen suchen, die Lust

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