Wasser zu Wein
hatte ebensowenig Lust auf eine durchweichte Schlafzimmerdecke.
Als er den Schaden beseitigt hatte, krähten draußen die Hähne. Er kroch wieder zurück ins Bett. Noch drei Stunden Dauerregen und Klein-Roda würde wieder einmal, wie fast jedes Jahr, unter Wasser stehen – in diesem Jahr früher als sonst, schon im Oktober, den die Metereologen bereits zum nassesten seit Jahrzehnten erklärt hatten.
Um acht Uhr früh hatte der Regen aufgehört. Eine halbe Stunde später zog sich Bremer Gummistiefel und Regenjacke an, um sich den Stand der Dinge anzusehen. An seinem Haus glühte das Weinlaub im milchigen Licht, ein leuchtendrotes Blatt löste sich und schwebte ihm vor die Füße. Vor dem Gartentor saß die Katzenversammlung, die sich zur Begrüßung in maunzende Fellknäuel auflöste. Die Dorfstraße war noch trocken, aber die Hauptstraße war bereits überschwemmt. Bremer ging bis zur Kreuzung vor. Klein-Roda war von der Außenwelt abgeschlossen – wenn man den erst halb überfluteten Feldweg nicht zählte, auf dem sich ein Auto vorwärtsquälte durch Fontänen von rotbraunem Wasser.
Die hoch über ihm kreisenden Gabelweihen schrien schrill. Kevin und Carmen hatten ihr Schlauchboot herausgeholt und paddelten auf dem See vor ihrem Haus, der sonst die Wäschewiese war. Zwei Katzen mit durchnäßtem Fell und angelegten Ohren kamen ihm entgegen und liefen Richtung Kuhstall. Draußen im Feld bot sich Bremer ein majestätischer Anblick: Die ganze Flußaue lag im Wasser, in dem sich blauer Himmel, Wolkenfetzen und buntbelaubte Bäume spiegelten. Zwei Reiher erhoben sich aus dem neugeschaffenen See, als er vorbeiging, kreisten über dem Auenwäldchen und ließen sich ein paar Meter weiter wieder nieder.
In den überfluteten Ackern am Rande der Flußaue thronten die in weiße Folie eingepackten Heuballen, die Zipfel der Folie flatterten und knatterten im Wind und winkten wie Gespenster zu ihm hinüber. Drüben im Nachbardorf standen die Hühnerställe und Geräteschuppen auf den Kleingärtnerparzellen unter Wasser, nebenan rosteten zwei entbeinte VW-Käfer in einem überschwemmten Vorgarten. In den kurzen Momenten, in denen die Sonne durch die Wolken brach, leuchteten die Bäume, Büsche und Sträucher in den buntesten Farben, von frühlingslind über sattgelb bis kupferrot.
Seinen Weinbergen am Rhein hatte der nasse Oktober nichts ausgemacht – Janz hatte ihm gestern am Telefon stolze 94 Grad Öchsle gemeldet. Für die Steilhanglagen war der Regen gut gewesen, endlich hatten die Reben bekommen, was sie brauchten: Wasser. »Ich bin nicht unzufrieden, Paul«, hatte Janz gesagt. Er hatte nach Wallensteins Tod Bischofsberg und Rosenpfad in Pacht übernommen. Es gab niemanden, der an den beiden kleinen Weinbergen mehr hing als Janz.
Außer Wallenstein. Ach, Wallenstein. Wir haben dich würdig zu Grabe getragen. Paul sah sie alle vor sich, die sich vor einem Monat auf dem Friedhof versammelt hatten, um dem alten Mann das letzte Geleit zu geben – es war ein großartiges Begräbnis geworden. Alle waren gekommen, alle Winzer, aber auch Panitz und Elisabeth Klar, Gregor Kosinski und Frau Beate. Und Karen. Und der junge Kommissar, Michael Wagner, der ihr nicht von der Seite gewichen war.
Es war, als ob sich ganz Wingarten über dem Grab von Frieder Wallenstein versöhnte. Christoph Corves hatte Panitz lachend auf die Schulter geklopft, Elisabeth hatte noch immer traurig ausgesehen, aber im Vergleich zu früher beinahe entspannt gewirkt. Fast alle hatten ein paar Tränen vergossen – vor allem Agata Perski, Wallensteins Haushälterin. Hannes Janz hatte sie tröstend in den Arm genommen. Wie glücklich der Mann plötzlich aussah.
Es war eine schöne Leich’. Hannes Janz hatte eine Rede gehalten, Christoph Corves hatte eine Rede gehalten. Und er selbst hatte ein paar Worte gesagt, bevor er vor Rührung nicht mehr weitersprechen konnte.
Er stiefelte über den alten Bahndamm, auf dem noch vor zwanzig Jahren die Rhön-Bahn hin- und hergezockelt war, und blieb bei der Flutbrücke stehen, um auf das strudelnde braune Wasser zu blicken. Nur noch eine Handbreit entfernt wirbelte es unter der Holzbrücke hindurch.
»Ich hab’s gemacht«, hatte Janz ihm gestern am Telefon feierlich erklärt. »Ich habe es alles so gemacht, wie wir es beschlossen haben.« Nach dem Tod des Alten hatten sich die beiden in Wallensteins Keller ungeheuer betrunken und ihren Pachtvertrag begossen.
»Der Wein war vorzüglich – der Jahrgang 1991 kann
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