Watersong - Wiegenlied: Band 2 (German Edition)
verärgert.« Da kam ihr ein Gedanke und sie schüttelte den Kopf. » Wenigstens glaube ich das nicht.«
» Ich auch nicht«, stimmte Alex zu. » Dann ist sie vielleicht doch keine Sirene.«
Harper dachte wieder an jene Nacht zurück, als Gemma im blassrosa Licht der Morgendämmerung im Meer verschwunden war. Selbst da war ihre Schwanzflosse eindeutig zu sehen gewesen. Gemma hatte definitiv die Gestalt einer Meerjungfrau gehabt.
» Doch, sie ist eine«, stellte Harper entschieden fest. » Aber es ist mir völlig egal, warum oder wie sie eine Sirene geworden ist. Ich muss nur wissen, wie ich sie wieder zurückbekomme.«
» Das ist ja das Knifflige an der Sache.« Alex verzog das Gesicht. » Ich habe nirgends auch nur einen Satz darüber gelesen, wie sich der Fluch wieder rückgängig machen lässt. Nur, wie man sie tötet.«
» Na ja, Gemma wollen wir natürlich nicht töten, aber ich hätte nichts dagegen, mir diese Schlampen mal vorzuknöpfen«, meinte Harper und war ein wenig überrascht über den Rachedurst in ihrer Stimme. » Aber wie?«
» Ich weiß nicht genau. Anscheinend sind die Sirenen zum Sterben verdammt, wenn jemand ihr Lied hört und ihm entkommt«, erklärte Alex ratlos.
» Aber du hast das Lied gehört und ich auch und wir sind entkommen«, gab Harper zu bedenken. » Und sie sind trotzdem nicht gestorben.«
» Das ist das Einzige, was ich bis jetzt darüber gelesen habe«, sagte Alex. » Aber nach dem, was in Homers Odyssee steht, müssten die Sirenen längst tot sein.«
» Na toll«, murmelte Harper. » Das heißt, du weißt im Grunde auch nicht mehr als ich.«
» Wahrscheinlich nicht«, räumte er ein. » Aber wenigstens habe ich herausbekommen, was die Mädchen für Wesen sind.«
» Gut, das ist immerhin ein Anfang«, gab Harper widerwillig zu und hob ein Buch vom Boden auf.
Mangels eines besseren Plans beschlossen Harper und Alex, alles über Sirenen zu sammeln, was sie finden konnten. Während sie die Bücher durchblätterten, sprachen die beiden kaum miteinander. Sie waren zu sehr darauf konzentriert, herauszukriegen, wie sie Gemma retten konnten.
Harper wusste nicht, wie lange sie schon da saßen und lasen, aber irgendwann waren ihre Beine eingeschlafen und sie musste eine andere Sitzhaltung einnehmen. Sie lehnte sich mit dem Rücken an ein Bücherregal, die Argonautica aufgeschlagen auf den Knien. Auch Alex hatte sich bewegt, vermutlich aus dem gleichen Grund. Er lag nun auf dem Bauch, ein offenes Buch vor sich. Seine Finger waren in seinem dunklen Haar vergraben und sein hübsches Gesicht war starr vor Konzentration.
Harper schaute von ihrem Buch auf und ihr Blick fiel auf ihn. Sein andächtiger Gesichtsausdruck rührte sie. Seine Sorge um Gemma schien beinahe so groß wie ihre, und schon das bewirkte, dass sie sich etwas besser fühlte. Sie musste das nicht alleine durchstehen.
» Was macht ihr da?«, fragte Marcy. Sie war am Ende der Regalreihe aufgetaucht, die Arme vor der Brust verschränkt.
» Äh…« Harper warf Alex einen Hilfe suchenden Blick zu, doch dieser wusste darauf ebenso wenig eine Antwort wie sie.
» Hast du vor, heute auch noch etwas zu arbeiten?«, wollte Marcy wissen. » Oder willst du dich den ganzen Tag hier hinten verkriechen?«
» Na ja…« Harper setzte sich aufrechter hin. Eigentlich hätte sie wirklich arbeiten müssen, aber sie wollte ihre Suche nicht aufgeben. Das hier war wichtiger, als Mahnungen für überfällige Bücher zu verschicken.
» Wenn du dich nicht in der Lage fühlst zu arbeiten, weil Gemma weggelaufen ist oder so, dann könntest du es auch einfach sagen«, fuhr Marcy fort. » Du brauchst dich nicht unter einem Vorwand wegzuschleichen.«
» Das haben wir doch gar nicht«, entgegnete Harper eilig.
Marcys Augen wurden schmal; offenbar klangen Harpers Worte glaubwürdig. » Was macht ihr dann?«
» Wir… ähm…« Harper schaute wieder zu Alex, der hastig eine Erklärung lieferte.
» Wir, äh, wir lesen… Bücher«, antwortete er lahm.
Harper schaute ihn an, als hielte sie ihn für einen Idioten, worauf Alex nur schulterzuckend den Kopf schüttelte.
» Und was lest ihr da?«, beharrte Marcy. Als keiner von beiden antwortete, bückte sie sich und hob das Buch auf, das vor ihren Füßen lag. Zufällig lautete der Titel: Sirenen – Mägde des Meeres .
» Meintest du das mit Sirenen?«
» Ähm, ja«, antwortete Alex.
» Diese wunderschönen unheimlichen Mädchen«, sagte Marcy, die die Puzzlestücke rasch zusammengefügt
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