Waylander
deine Legionssoldaten einzuholen«, fuhr der Mann auf. »Sie führten den Rückzug an.« Ein zorniges Murmeln antwortete auf seine Rede, verstummte jedoch, als ein hochgewachsener Mann über die Wehrgänge kam. Er legte seine Hand auf Jonats Schulter und lächelte entschuldigend.
»Darf ich ein paar Worte sagen, Jonat?«
»Selbstverständlich.«
Der Offizier hockte sich zwischen die Männer und nahm seinen Helm ab. In seinen graublauen Augen stand die Erschöpfung von sechs Tagen und sechs Nächten bitterer Kämpfe. Er rieb sie müde, dann sah er zu dem jungen Kaufmann auf.
»Wie heißt du, Freund?«
»Andric«, antwortete der Mann mißtrauisch.
»Ich bin Gellan. Was Jonat über die Burg aus Sand sagte, war eine Wahrheit, die man sich merken sollte, und gut ausgedrückt. Jeder einzelne von euch hier ist lebenswichtig. Panik ist eine Seuche, die eine Schlacht wenden kann, aber das ist Mut auch. Als Jonat diesen selbstmörderischen Gegenangriff mit nur zehn Männern führte, habt ihr alle reagiert. Ihr kamt zurück - ich glaube, das hat euch stärker gemacht. Hinter diesen Mauern wartet ein Feind von wahrer Bösartigkeit, der sich seinen Weg durch das Land der Drenai gemetzelt hat, indem er Männer, Frauen und Kinder umgebracht hat. Er ist wie ein tollwütiges Tier. Aber hier bleibt er stehen, denn Dros Purdol ist die Leine um den Hals des wahnsinnigen Hundes, und Egel wird die Lanze sein, die ihn zerstört. Ich bin kein großer Redner, wie Jonat hier bezeugen kann, aber ich möchte gern, daß wir hier alle Brüder sind, denn wir sind alle Drenai, und wir sind wirklich die letzte Hoffnung für das Volk der Drenai. Wenn wir nicht zusammen auf diesen Mauern stehen können, verdienen wir es nicht zu überleben.
Und jetzt seht euch um, und wenn ihr ein Gesicht seht, das ihr nicht kennt, fragt nach dem Namen. Euch bleiben noch einige Stunden bis zum nächsten Angriff. Nutzt sie, um eure Brüder kennenzulernen.«
Gellan kam auf die Füße, setzte den Helm wieder auf und ging in die zunehmende Dunkelheit davon. Jonat ging mit ihm.
»Das ist mal ein feiner Herr«, sagte Vanek, lehnte sich mit dem Rücken an die Mauer und lockerte den Kinnriemen seines Helms. Er war einer der zehn, die mit Jonat gekämpft hatten, und auch er war ohne einen Kratzer davongekommen, wenn sein Helm auch an zwei Stellen verbeult war und jetzt etwas schief saß. »Ihr habt gehört, was er gesagt hat - nehmt es in euch auf, als wäre es in Stein gemeißelt. Für diejenigen von euch >Brüdern<, die mich nicht kennen - ich heiße Vanek. Ich bin ein Glückskind, und wer gern am Leben bleiben möchte, sollte sich dicht an mich halten. Jeder, dem morgen danach ist, davonzulaufen, kann in meine Richtung rennen, denn ich werde mir diese beiden Reden nicht noch einmal anhören.«
»Glaubst du wirklich, wir können diese Festung halten, Vanek?« fragte Andric, kam herüber und setzte sich neben ihn. »Den ganzen Tag über sind Schiffe angekommen, die noch mehr Vagrier brachten, und jetzt bauen sie einen Belagerungsturm.«
»Das hält sie wahrscheinlich beschäftigt«, antwortete Vanek.
»Und was die Männer angeht, was glaubst du, wo sie herkommen? Je mehr wir hier sehen, desto weniger sind woanders. Kurz gesagt, Bruder Andric, wir ziehen sie zusammen wie eine Eiterbeule. Glaubst du, Karnak wäre hergekommen, wenn er dachte, wir könnten verlieren? Der Mann ist ein politischer Hurensohn. Purdol ist ein Trittstein zu seinem Ruhm.«
»Das ist etwas unfair«, sagte ein hohlwangiger Soldat mit tiefliegenden Augen.
»Vielleicht, Bruder Dagon, aber ich rede so, wie ich es verstehe. Mißverstehe mich nicht - ich respektiere den Mann, ich würde ihn sogar wählen. Aber er ist nicht wie wir, er trägt das Zeichen von Größe an sich, und er hat es sich selbst angeheftet, wenn du verstehst, was ich meine.«
»Nein«, sagte Dagon. »Soweit ich sehen kann, ist er ein großer Krieger und kämpft genauso für die Drenai wie ich.«
»Dann belassen wir es dabei«, sagte Vanek lächelnd. »Wir stimmen beide darin überein, daß er ein großer Krieger ist, und Brüder wie wir sollten sich nicht streiten.«
Über ihnen im Torturm saßen Karnak, Dundas und Gellan unter den neuen Sternen und lauschten dem Gespräch. Karnak grinste breit, als er Gellan auf die andere Seite der Brüstung winkte, wo ihre Unterhaltung nicht mitangehört werden konnte.
»Intelligenter Mann, dieser Vanek«, sagte Karnak leise und hielt die Augen unverwandt auf Gellans Gesicht
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