Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wehe wenn der Wind weht

Wehe wenn der Wind weht

Titel: Wehe wenn der Wind weht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Saul
Vom Netzwerk:
der Wind war ruhig.
    Und doch war das Geräusch da.
    Ein Baby, das nach seiner Mutter weinte.
    Instinktiv kniete sich Diana neben Christie und nahm das Kind in ihre Arme.
    »Es ist ja gut, Baby«, flüsterte sie. »Alles wird gut werden.«
    Christie, die während der ganzen Zeremonie ruhig dagestanden hatte, schaute verwirrt in Dianas Augen. Es schien ihr fast, als würde die Frau mit jemand anderem sprechen.
    »Es geht mir gut, Tante Diana«, flüsterte sie.
    »Aber du hast geweint«, flüsterte Diana zurück.
    Christie erschauerte, als sie sich an das erinnerte, was geschehen war, als Diana sie weinend in der Kinderstube entdeckt hatte. Seit jenem Morgen hatte sie sich bemüht, nicht zu weinen. »Nein, das habe ich nicht«, sagte sie nachdrücklich, wobei sie in Dianas Armen erstarrte.
    »Aber gewiß doch«, beharrte Diana. »Ich habe dich doch gehört.«
    Und dann, als der Leichnam ihres Vaters in die Erde gesenkt wurde, weinte Christie. Diesmal tröstete Diana sie nur.
    Ein paar Meter entfernt stand Bill Henry und schaute zu, wie Diana das Kind tröstete. Ihre Liebe zu Christie war offensichtlich, und Bill überlegte, ob es nicht das Beste wäre, was überhaupt passieren könnte, wenn sie das kleine Mädchen adoptierte. Nicht allein für Diana, sondern auch für Christie.
    Dann verharrte sein Blick auf Miß Edna.
    Da stand sie, jetzt beide Hände auf ihren Stock gestützt, und ihr Gesicht war verärgert, während sie beobachtete, wie ihre Tochter das weinende Kind hielt. Was immer auch geschehen würde, fand Bill, es würde nicht leicht werden. Weder für Diana, noch für Christie.
    »Mir scheint«, sagte Edna, als Diana ihren alten Cadillac vorsichtig vom Friedhof manövrierte, »wenn sie einen Empfang haben wollen, dann sollten sie ihn bei den Crowleys haben.«
    Diana schaute über Christie hinweg ihre Mutter an, aber Edna starrte stur geradeaus.
    »Wir werden darüber reden, wenn wir zu Hause sind, Mutter«, erwiderte sie.
    »Eigentlich gibt's darüber doch nichts zu reden, oder? Ich meine, es ist vorbei, und jedermann aus der Stadt wird da sein, und eigentlich ist es doch allen egal, was ich möchte, nicht wahr?« Edna begann mit ihrer Stockspitze auf den Boden des Wagens zu pochen.
    Statt etwas zu sagen, gab Diana lediglich heftig Gas, der Cadillac rumpelte vorwärts, und das Getriebe knirschte unter der Anstrengung.
    »Wenn du nicht aufpaßt, wirst du das hervorragende Auto noch ruinieren«, schnappte Edna. Der Cadillac, eine 1934er Limousine, war eines der wenigen Dinge, zu dessen Erhaltung Edna Geld auszugeben bereit war, und er sah nagelneu aus. Sein grüner Lack glänzte im Sonnenlicht, das Dach war heruntergeklappt, und die auf den Stoßstangen angebrachten Reservereifen prangten stolz zu beiden Seiten seiner langen Motorhaube. Für Diana hingegen war der Wagen - seine Instandhaltung und der Umstand, daß sie ihn fahren mußte - nur weiterer Anlaß für Kritik, und sie wünschte sich, sie könnte ihre Mutter davon überzeugen, ihn gegen ein praktischeres Fahrzeug einzutauschen. Aber auch das war etwas, das sie, wie sie wußte, nie fertigbringen würde.
    Laß mich nur nach Hause, und dann laß mich Christie aus dem Wagen holen, und dann laß Menschen kommen, bevor ich verrückt werde, betete Diana. Ich werde nicht antworten. Egal, was sie sagt, ich werde nicht antworten. Und dann werden alle da sein, und ich bin für eine Weile mit anderen Menschen zusammen, mit denen ich reden kann, und danach wird es vorbei sein, und dann kann sie ruhig mit etwas anderem anfangen.
    Und womit sie anfangen würde, das wäre Christie. Das wußte Diana. Seit drei Tagen hatte ihre Mutter immer wieder betont, daß es falsch sei, Christie im Haus zu haben; früher oder später, hatte sie gesagt, müsse Diana den Tatsachen ins Auge sehen, und Tatsache war nun einmal, daß das Kind ein Mündel des Staates werden würde. Bisher hatte sie Dianas Wunsch, das Kind zu adoptieren, nicht akzeptiert. Im Laufe der Jahre hatte Edna es nur allzu deutlich gemacht, daß sie keine Kinder gebrauchen könne, daß sie ihre Pflicht damit erfüllt hatte, Diana zu erziehen, und daß alles, was sie jetzt vom Leben erwartete, nur war, mit Diana allein gelassen zu werden, um in Frieden alt zu werden. Aber Diana klammerte sich noch immer an den Gedanken, daß es ihr irgendwie erlaubt sein würde, Christie zu behalten, sie als ihr eigenes Kind aufzuziehen. Sie hoffte, daß Christie so zu ihr gehören würde, wie sie, Diana, ihrer Mutter gehört

Weitere Kostenlose Bücher